Als Reporter unter Indianern

Oka 20 Year Anniversary

Ureinwohner gegen kanadische Armee  © Canadian Encyclopedia

Erst kreisten Militär-Hubschrauber über unserem Dorf. Dann rollten die Panzer an. Als ich mich als Korrespondent schließlich ins Krisengebiet aufmachte, wurde ich unsanft in den Kommandowagen der Polizei geschoben. Die Beamten hatten mein “Motorola-Knochen“-Handy für eine Waffe gehalten. Und als alles schon vorbei schien, tauchte auch noch die Kripo bei mir zuhause auf. Diesmal ging es um Drogen.

Verwirrt? Der Reihe nach:

Es war vor genau 30 Jahren, als am 11. Juli 1990 kanadische Geschichte geschrieben wurde. Zwischen Mohawk-Indianern, der kanadischen Bundespolizei und dem Militär brodelte ein Konflikt, der 78 Tage und Nächte dauern sollte.

Die etwa 1400 „Indianer“ – so wurden Ureinwohner damals noch politisch-korrekt bezeichnet – leben in dem Mohawk-Reservat „Kanesatake“, am Ufer des “Lake Of Two Mountains”. Also genau gegenüber dem Dorf Hudson, in dem wir 25 Jahre lang unser Zuhause hatten.

Bei dem Disput, der mehr als zwei Monate lang die Nation in Atem hielt, ging es um Landansprüche. Die Gemeinde Oka, seit Generationen Nachbarn der Indianer, plante in den Augen der Ureinwohner etwas Ungeheuerliches: Der städtische Golfplatz sollte erweitert werden. Dafür müsste ein Gebiet abgeholzt werden, das Grabstätten der Mohawk beherbergt.

Mit Diplomatie war den Indianern nicht beizukommen. Sie blieben hart und weigerten sich, auch nur einen Quadratzentimeter Land für eine Freizeitanlage abzugeben, von dem nur einer profitieren würde: Der “Weisse Mann”.

Als die Auseinandersetzungen zwischen den Ureinwohnern und den Bürgern von Oka zu eskalieren drohten, wurden neben der Quebecer Polizei zusätzlich noch die “Mounties” gerufen, also die kanadische Bundespolizei. Als auch deren Präsenz nicht zur Deeskalation beitrug, rückte das Militär ein.

Als schließlich noch ein Polizeibeamter bei einem Schusswechsel mit Indianern ums Leben kam, drohte Krieg.

Um an den Schauplatz dieser militärischen Auseinandersetzung zu kommen, musste ich lediglich zehn Minuten mit der Fähre von unserem Dorf ans gegenüberliegende Ufer zurücklegen.

In Kanesatake angekommen, tat ich das, was Reporter so tun, wenn sie ihrem Job nachgehen: Ich fing an zu recherchieren. Ich redete mit Indianern und Armee-Soldaten, mit Bürgern aus Oka und auch dem Betreiber einer Radiostation, die ausschließlich in der Sprache der Mohawk sendet.

Als mich meine Recherchen aus einem Waldgebiet wieder zu Fuß in Richtung Reservat führten, wurde ich von vier bewaffneten Polizisten gestoppt, gefilzt und vorübergehend festgenommen.

Sie konfiszierten Handy und Kamera. Mein Internationaler Presseausweis beeindruckte sie wenig.

Wen kontaktiert man, in einem Fall wie diesen? Im Büro der Kanadischen Journalistenvereinigung ging keiner ans Telefon. Auch bei mir zuhause erreichte ich niemanden, dem ich sagen konnte: Es könnte eine lange Nacht werden.

Blieb der Anruf beim besten Freund in Deutschland, selbst Journalist und mit Krisen-Prozedere vertraut. Er schaffte es zumindest, meine Familie darüber zu informieren, was passiert war. Es war die Kommunikation der langen Wege: Von Köln nach Hudson sind es gut 6000 Kilometer. Von Oka nach Hudson gerademal 10 Minuten mit der Fähre.

Nach gut zwei Stunden entließen mich die Beamten. Für Erklärungen war dies der falsche Ort, der falsche Zeitpunkt. Was zählte: Ich war wieder auf freiem Fuß.

Es wurde noch ein langer Tag und eine noch längere Nacht. Mehr als ein Dutzend Sender der ARD waren an Reportagen interessiert. Bei den meisten von ihnen war ich auch während der kommenden zweieinhalb Monate Tag für Tag, Nacht für Nacht, immer wieder auf Sendung.

Eines Abends, wir saßen beim Abendbrot, klopfte es an der Tür. Zwei Beamte in Zivil wollten mich sprechen – “unter sechs Augen, bitte!” Die Polizisten legten mir ein Schwarzweiß-Foto vor. Es zeigte mich im Gespräch mit einen Mann. Aufgenommen auf der Fähre über den Lake Of Two Mountains, von Hudson ins Indianergebiet.

In welcher Beziehung ich zu dem Mann auf dem Bild stehe, wollten die Kripo-Beamten wissen. “In gar keiner”, sagte ich wahrheitsgetreu. Ich war lediglich mit dem mir bis dahin völlig unbekannten Mann bei der Fahrt über den See ins Gespräch gekommen.

“Worum geht’s?”, wurde ich neugierig. Bei dem Mann handle es sich um einen Drogenschmuggler großen Stils, klärten mich die Beamten auf.

Weitere Konsequenzen hatte die Begegnung mit dem Kriminellen für mich nicht. Gut so, denn zu jener Zeit hatte ich mit der Berichterstattung über die “Oka-Krise” genug an der Backe.

Dreißig Jahre später brodelt es zwischen den Bewohnern von Oka und Kanesatake zwar immer mal wieder. Zu kriegerischen Auseinandersetzungen ist es seither nie mehr gekommen.

Die Bundesregierung kaufte auf Drängen der Mohawk-Indianer das seinerzeit umstrittene Stück Land auf. Es ging als “The Pines” in die kanadische Geschichte ein.

Zu der geplanten Erweiterung des Golfplatzes ist es nie gekommen. Im Gegenteil: Die kanadische Regierung kaufte einige Waldstücke auf, um den Indianern von Kanesatake für Generationen hinaus Grabstätten zu ermöglichen.

Video: DIE OKA-KRISE IN 5 MINUTEN

2 Gedanken zu „Als Reporter unter Indianern

  1. Sehr interessant! So einen Konflikt hätte ich „Den Kanadiern“ gar nicht zugetraut, also in dieser Form.

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  2. Tolles Video! Danke für den kurzen Überblick! Das waren ja aufregende Zeiten, aber positiv, dass so viele Supporters im ganzen Land ihre Solidarität mit der indigenen Bevölkerung manifestiert hat!

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