
Wenn einem mit Mitte 70 noch neue Freunde ins Leben gespült werden, ist das wie ein Sechser im Lotto. Bei mir sind es gleich zwei Lottogewinne. Da ist zum einen „Dr. Marc“, ein Kinderkardiologe, von dem hier schon ein paarmal die Rede war. Und da ist Chris. Ihn möchte ich der geneigten Blog-Leserschaft heute vorstellen.
Chris heißt eigentlich Christopher Neal und ist das, was man im politischen Spektrum einen bodenständigen Linken nennen würde. Politik und Chris gehören zusammen wie Rouladen und Spätzle. Untzertrennlich und auch in hohen Dosen noch gut genießbar.
Schon unser erstes Treffen vor ziemlich genau einem Jahr stand ganz im Zeichen der Politik. Wir nahmen beide an einer Demonstration teil, in der es um die Rechte der Anglokanadier in der frankokanadischen Provinz Quebec ging. Keiner hievte sein Plakat höher in die Luft als Chris, von der Statur her alles andere als ein Riese.
Als der Rest der Protestgesellschaft längst eingepackt hatte, diskutierten Chris und ich noch lange weiter. Erst auf dem Platz, dann in einer nahe gelegenen Kneipe. Ein junges Paar setze sich an den Nebentisch. Mexikaner, wie sich herausstellte. Chris parlierte in fließendem Spanisch mit ihnen und hatte damit bei mir schon dreimal gepunktet:
1) Protest, wenn es um die Beschneidung von Rechten geht.
2) Bier, wenn es um eine anständige Diskussionskultur geht.
3) Ein offenes Gespräch mit Menschen aus einer anderen Kultur.

Als Chris mir im Laufe des Abends bei diversen Bieren dann noch erzählte, dass seine Mutter aus Waiblingen bei Stuttgart stammt, wo ich fünf wunderbare Jahre verbracht habe, war klar: Wir haben uns gefunden, ohne gesucht zu haben.
Wie wenig ich an diesem Abend trotz allem noch über meine neue Bekanntschaft wusste, stellte sich erst im Laufe der Wochen und Monate heraus. Chris gehört nämlich nicht zu denen, die ein virtuelles Sprachrohr (wie zum Beispiel einen Blog) brauchen, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie tun es im Gespräch – ganz uneitel, eher zurückhaltend, pointiert und in dieser seltenen Kombination äußerst beeindruckend.
Christopher Neal im Schnelldurchgang:
Ende 60. Gebürtiger Montrealer. Verheiratet mit Mayra Zeledon Neal, einer nicaraguanischen Diplomatin. Zwei Kinder, mehrfacher Großvater, dabei fit wie ein Turnschuh. Kosmopolit mit einer Medienkarriere, die ihn vom rasenden Südamerika-Korrespondenten bis hin zur Weltbank nach Washington führte. Dazwischen Stationen bei NGOs und als Entwicklungshelfer. Wo soziales Engagement gefragt wird, war – und ist – Chris nie weit weg.
So Respekt einflößend auch seine Zeit bei der Weltbank gewesen sein mag, für mich ist Chris in erster Linie ein kluger, belesener Abenteurer, ein Storyteller und – wie auch Dr. Marc – ein wunderbarer Wegbegleiter auf meinen zahlreichen eBike-Touren.
So sehr wir uns auch Mühe geben, möglichst Vieles voneinander zu erfahren, so langsam schreiten wir in unseren Gedanken-Erkundungen voran. So habe ich erst vor ein paar Tagen eher beiläufig erfahren, dass Chris in jungen Jahren um die Welt gereist ist.
Nicht im Business-Abteil, wie es beim Sohn einer blaublütigen Mutter und eines erfolgreichen, promovierten Vaters durchaus denkbar wäre. Chris hat stets die Holzklasse gewählt, ist aber zwischendurch trotzdem aufs hohe Ross gestiegen. Wie damals, als er sich in Afghanistan ein Pferd besorgte, um wochenlang durch unwägbares Gelände zu reiten. Oder zu jener Zeit, als er monatelang durch Nepal wanderte und sich irgendwann vorübergehend in Indien niederließ. Oder durch Griechenland trampte und dabei einen jungen Franzosen kennenlernte, den er erst neulich wieder in Paris besuchte.
Aber mehr als all seine Reisen um die Welt hat Chris seine Zeit in Lateinamerika geprägt. Er war als freiberuflicher Korrespondent für englisch- und französischsprachige Zeitungen, Magazine und auch fürs Radio dorthin gegangen.
Er hat iüber die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld während ihres Besuchs in Paraguay berichtet, Reportagen über Wahlen in Bolivien und ein Erdbeben in Chile geschrieben und auch über einen politischen Prozess in Argentinien. Pinochets Diktatur in Chile packte den Reporter Christopher Neal nicht weniger als diverse Revolutionen, die es in Lateinamerika immer irgendwo gibt.

Kein Wunder, dass sich der Journalist von einem anderen Reporter anstecken ließ.
Der US-Amerikaner Carleton Beals faszinierte Chris so sehr, dass er ein viel beachtetes Buch über ihn geschrieben hat. Lob gab es dafür nicht nur von der Quebecer Schrifttseller-Vereinigung, sondern auch von dem angesehenen Politik-Magazin „Foreign Affairs“ und von „Revista“, einer Publikation der Harvard University.
Mag der Rest der Welt meinen Freund mit Lorbeeren für seine akademische und schriftstellerische Arbeit zuschütten – für mich ist Christopher Neal vor allem eines: Ein toller Sparring-Partner, wenn es ums Geschichten erzählen geht. Und ein rundherum klasse Typ – ncht nur auf dem Fahrrad.
Willkommen in meinem kleinen Leben!

Buchveröffentlichung von Christopher Neal

The Rebel Scribe: Carleton Beals and the Progressive Challenge to U.S. Policy in Latin America.
Zu bestellen, wo es gute Bücher gibt.
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So ein faszinierender Mensch, und die Parallelen mit Deinem Leben. Es war schon in den Sternen geschrieben dass Ihr Euch trefft.
Toll dass Du so tolle Charakteren in Deinem Alltag hast.
Bravo 👏👏👏
Gruß Harald
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