Jetzt laufen sie mir schon hinterher. In jüngeren Jahren hätte ich gesagt: Warum nicht? Es soll ja Menschen geben, die einen auf Anhieb sympathisch finden. Aber er hier? Okay, er war ein netter Fahrgast. Freundlich, hat nicht geschmutzt, erzählt von sich und seiner Familie. Einer, für den es sich gelohnt hatte, die Uber-App auf Empfang zu stellen.
Dass ich diesen Mann schon kurze Zeit nach unserer Fahrt durch die Montrealer Innenstadt wiedersehen würde, ist eine Geschichte für sich.
Die Geschichte geht so:
Ein Geschäftsmann aus New York City hat in Montreal zu tun. Das trifft sich gut, denn seine Mutter, seit kurzem Witwe, lebt dort in einem Vorort. Der Mann, jovial, rundlich, Mitte 40, bestellt mein Uber-Taxi zu einem 5-Sterne-Hotel. Dort steigt er ein plappert über dies und jenes und erzählt, dass seine Mutter heute Geburtstag hat. Er freue sich darauf, sie und den Rest der Familie zu sehen.
Nach einer Fahrt durch die Rushhour liefere ich ihn vor dem Haus der Mama ab. Ende einer Dienstfahrt.
Für mich sollte es der letzte Uber-Trip dieses Tages werden. Ich freue mich auf die Fahrt aufs Land. Die Farm, wo wir das Wochenende verbringen, liegt eine knappe Autostunde südlich von Montreal.
Das Gras riecht nach Frühling, der Tee nach Feierabend. Vögel zwitschern. Freunde, was kostet die Welt?
Kaum zwei Stunden nach der Ankunft: Ein Auto hält vor dem Bauernhaus. Ein Mann steigt aus, freundlich, rotbackig, jovial, begrüßt mich, als wären wir alte Bekannte.
Wer ist das, fährt es mir durch den Kopf. Müssen wir uns kennen?
Ja, müssen wir. Denn dieser Mann, der mir jetzt die Hand entgegenstreckt und sich immer wieder für den überfallartigen Besuch entschuldigt, ist der Fahrgast, den ich vorhin noch durch den Montrealer Dschungel chauffiert hatte.
„Mein Handy!“, sagt der Mann. Er habe sein Handy bei mir im Wagen liegen lassen.
Okay, denke ich, kann ja mal passieren. Neulich hatte einer eine Trinkflasche im Wagen vergessen, die ich schon bald entsorgt habe. Aber ein Handy?
Und überhaupt? „Woher wissen Sie denn, dass ich hier bin?“
Seine Frau, die mit nach Montreal gekommen war und bei der Schwiegermutter auf ihn wartete, habe den Trackingmodus ihres Handys aktiviert. Damit kann sie den jeweiligen Standort ihres Mannes live auf ihrem Smartphone verfolgen.
Das verschwundene iPhone ist schnell geortet.
Also fahren die Beiden von Montreal in Richtung Süden, immer dem Handysignal nach, das, von mir noch immer unbemerkt, im Uber-Taxi schlummert. So präzise funktioniert die Ortung, dass das Signal bis auf den Rücksitz meines Wagens führt. Auf einem Bauernhof, weit weg von der Montrealer City.
Rundherum zufriedene Gesichter. Ein Geschäftsmann hat sein Handy wieder. Seine Frau liefert ihm den Beweis, dass sich Tracking lohnt. Und ich bin dankbar, dass der nette Mann aus New York City mein letzter Fahrgast war. Nicht auszudenken, wenn sich nach ihm ein Fahrgast ohne mein Wissen das iPhone vom Rücksitz geschnappt hätte.
Notiz an mich selbst: Den Wagen künftig nach jeder Uber-Fahrt nach vergessenen Objekten durchsuchen.