
Wenn einem Nachbarn oder Freunde einen Film, ein Buch, ein Theaterstück oder ein Restaurant empfehlen, dann ist das oft mit Vorsicht zu genießen. Könnte leicht sein, man landet geschmacklich meilenweit von dem entfernt, was der nette Mensch von nebenan gut findet.
Bei uns hat sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Unsere Nachbarin Rana Liu (29), die in dem Theaterstück „A little bit pregnant“ („Ein bisschen schwanger“) Regie führt, lag voll auf unserer Linie. Ranas Stück hat uns einen wunderbar vergnüglichen Abend beschert. Dass unsere Anwesenheit den Altersdurchschnitt im Saal um gefühlte 100 Jahre angehoben hat, störte uns gar nicht. Vergnügen kennt keine Grenzen, auch keine Altersgrenzen.
Die Handlung ist schnell erzählt:
Bei zwei befreundeten Paaren läuft ziemlich viel aus dem Ruder. Die einen hätten gerne ein Kind, können aber keins haben. Die anderen erwarten ein Baby, dabei wollten sie gar keins.
Die Kunst, aus dieser eigentlich simplen Geschichte ein wunderbares Theaterstück zu stricken, hat das junge Ensemble um die Autorin Kate Lavut und die Regisseurin Rana Liu perfektioniert.
Exzellentes Storytelling, witzige Dialoge und Pointen, die sitzen – das alles macht gutes Theater aus. Das minimalistische Bühnenbild sorgt für einen Rahmen, welcher der Dramaturgie des Stückes gerecht wird: Kein Wort zu viel, kein Dialog zu lang, kein Witz zu schal. Man fühlt mit den beiden jungen Paaren, weil sie einem trotz, vielleicht sogar gerade wegen ihrer gegensätzlichen Lebenskonzepte sympathisch sind.

Für uns war es die erste Bühnen-Begegnung mit Rana Liu. Der persönliche Kontakt beschränkte sich bisher auf ein kurzes Hallo im Aufzug des Gebäudes, das wir teilen. Dass ich es war, der Rana ansprach und nicht umgekehrt, lag auf der Hand, genauer auf dem Kopf: Sie trug eine Mütze mit dem Logo der CBC – dem Sender also, der auch bei mir berufliche Spuren hinterlassen hat.
Weil Theater zwar Leidenschaft für sie ist, aber nicht Beruf, hat sich Rana für einen regulären 9-to-5-Job entschieden. In der Öffentlichkeitsabteilung der Canadian Broadcasting Corporation ist sie eine Art Bindeglied zwischen Sender und den unterschiedlichen Zielgruppen, die er mit seinen Programmen erreichen möchte.
Ranas Liebe für die Bühne wurde ihr schon in die Wiege gelegt. Der Papa war Theater-Produzent, die Mama eine große Liebhaberin der Künste. Tochter Rana war gerade mal achtzehn, als sie im „Marianopolis College“ ihr erstes Stück in Szene setzte, das Musical „Nine to Five“. Der Erlös der Aufführungen wurde übrigens dem Montrealer Kinderkrankenhaus gespendet.
Längst ist Rana derm College-Theater entwachsen. Stücke, an denen sie auf die eine oder andere Art beteiligt war, wurden bereits in Toronto, Chicago und Shanghai aufgeführt.
Könnte sie sich vorstellen, den sicheren Job bei der CBC doch irgendwann für eine hauptberufliche Theater-Karriere an den Nagel zu hängen?“ Bei dieser Frage schlagen zwei Seelen in ihrer Brust. „Auf der Bühne sprühen die Funken und der kreative Input aller Beteiligten führt zu einer wunderbaren Magie, die ich so liebe“, sagt sie.
Aber als Kind eines Theater-Vaters kennt sie auch die Kehrseite dieser Glitzerwelt: Chaotische Arbeitszeiten, mäßige Bezahlung. Und: Als junge Frau asiatischer Herkunft sind ihr auch Rassismus und Sexismus nicht fremd.
Rana kann sich den Luxus leisten, ihre Optionen offen zu halten. Wer einen Uni-Abschluss in Politik und Theaterwissenschaften hat, dazuhin in Kanada, England, China und den USA aufgewachsen ist, muss sich um seine Zukunft keine Sorgen machen.
Im Moment freut sich Rana Liu einfach über ihren jüngsten Erfolg. Nachdem „A little bit pregnant“ bereits früher in Toronto aufgeführt worden war, hat es das Stück jetzt auch in das renommierte Montrealer „Fringe Festival“ geschafft.
Applaus!


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