
Joschka Fischer hat als Taxifahrer angefangen und seine Karriere als Vizekanzler beendet. Meine berufliche Laufbahn in Montreal begann als Kanada-Korrespondent und endet jetzt, mit 75, als Taxifahrer. Genauer: als UBER-Chauffeur.
Bitte keine Care-Pakete! Es geht uns gut. Aber wenn der Bewegungsradius von Weltweit auf Bierdeckelgröße schrumpft und der Blick aus dem Wohnzimmerfenster auf den vereisten Fluss den Sommer noch in weiter Ferne sieht, hilft eine Veränderung.
Die habe ich jetzt mit dem Bestehen der offiziellen Taxifahrer-Prüfung eingeleitet.
Ehe es los geht, müssen noch ein paar Regularien abgehakt werden: Steuernummer für Selbstständige beantragen, Mechaniker-Crashkurs mit Sicherheits-Zertifizierung für das Auto. Und ein polizeiliches Führungszeugnis. „Das könnte knapp werden bei all deinen Vorstrafen“, unkt ein Freund. Satire aus.
Fünfzehn Stunden Unterricht (en français, wir sind schließlich in Québec) habe ich hinter mir: Mechanik, Rechts-, Versicherungs- und Verkehrsfragen, Kundenservice, Umgang mit Menschen mit eingeschränkter Mobilität und weitere spannende Aspekte.
Als guter Service gilt, den Kunden beim Einsteigen zu fragen, ob er einen französischen, englischen oder gar keinen Radiosender hören möchte. Als sexuelle Belästigung gilt, wenn der Fahrer der Kundin ungefragt den Sicherheitsgurt anlegt und sie dabei berührt. Soll es geben unter Taxifahrern.
Ich werde in der Dreieinhalb-Millionenstadt Montreal also künftig als UBER-Fahrer arbeiten. Mit meinem Sehvermögen sollte das tagsüber klappen. Nachts und bei schlechtem Wetter werde ich mich nicht hinters Steuer setzen. Wenigstens das musste ich Lore und Cassian versprechen. Die stehen übrigens voll hinter mir. Klasse.
Wie ich auf die Idee gekommen bin? Ich kenne und liebe meine Stadt seit 40 Jahren, habe als Rentner viel Zeit, fahre gerne Auto und freue mich über nichts mehr, als mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Zahlreiche UBER-Fahrten in den letzten Tagen und Wochen haben mich in meinem Entschluss bestärkt, mich für Geld hinters Steuer zu setzen. Quasi Joschka Fischer rückwärts.
Die Fahrer – es war nur eine einzige Frau darunter – waren durch die Bank zufrieden mit ihrem Job, strahlten mich im Rückspiegel an und schienen weit weniger gestresst als viele Taxifahrer, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Kein Wunder: UBER-Fahrer können sich die Arbeitsstunden frei auswählen. Ob eine Stunde am Tag oder acht – es liegt an ihnen.
Und dann die Geschichten: Vom UBER-Fahrer, der in seinem früheren Leben Bankangestellter war und knapp einen Raubüberfall überlebt hat. Vom Argentinier, der seiner Tochter nach Montreral nachgereist war, die aber dann vom Papa weit weniger wissen wollte als erhofft.
Wer Menschen mit Geschichten mag, scheint als Taxifahrer in Montreal gut aufgehoben zu sein.
Die Reaktion auf meine UBER-Ambitionen im Familien- und Freundeskreis fielen einstimmig ermutigend aus. Naja, fast einstimmig.
„Wozu brauchst du eine zweite, dritte, vierte Karriere“, fragt ein Freund, der es immer gut mit mir meint. „Du willst mir doch nicht einreden, dass du am Hungertuch nagst und dir deine Diät nicht mehr leisten kannst?“ Nein, will ich nicht. Siehe oben: Keine Care-Pakete, bitte!
Positiver ist die Einstellung meines Kölner Kumpels: „Ich sehe schon den nächsten Roman vor mir: Taxi, Tapas, Tante Thea – oder Einsichten eines Uberisten.“ Gute Idee, Stefan!
Und wie funktioniert so eine UBER-Fahrt?
Kunden buchen ihren Trip mit der UBER-App. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos im Voraus. Bereits bei der Reservierung kennt der Fahrgast die voraussichtliche Ankunftszeit. Die hat das UBER-eigene GPS ausgerechnet, und auch der Fahrpreis steht bei der Buchung schon fest. Selbst der Tagesverdienst kann minutengenau abgerufen werden.
UBER hat nicht nur Freunde. Auch ich bin mir der wirtschaftlichen und ideologischen Seiten bewusst, die der Fahrdienst mit sich bringt.
Konzessionen, die manche Taxi-Unternehmer vor Jahrzehnten für viel Geld erstanden hatten, in der Hoffnung, sie eines Tages für noch mehr Geld versilbern zu können, sind heute weit weniger wert als von den Eigentümern erwartet.
Umgekehrt hat der weltweite Aufstieg der Ridesharing-Dienste die traditionellen Taxiunternehmen dazu veranlasst, sich anzupassen und ihre Dienstleistungen zu verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das kommt letztendlich den Verbrauchern durch verbesserte Qualität und Effizienz zugute. Außerdem haben die Regierungen, darunter auch die in Quebec, die Taxiunternehmer großzügig für ihre Einkommensverluste entschädigt.
Bei den Finanzverwaltungen in Großstädten wie Montreal gilt UBER als wahre „cash cow“. Im vergangenen Jahr hat der Fahrdienst weltweit mehr als 37 Milliarden Dollar eingenommen. Da freut sich jeder Stadtkämmerer.
Wohin mich meine neue Karriere als Montrealer Taxifahrer führt, wird sich zeigen. Eins steht schon jetzt fest: Die BLOGHAUSGESCHICHTEN werden künftig noch spannender als bisher. Der nächste UBER-Blog kommt bestimmt.

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DAS Buch würde ich auch gerne lesen!
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Ich wünsche Dir allzeit gute Fahrt, kommunikative Fahrgäste – und viele Inspirationen für Dein nächstes Buch! Einen Leser hast Du schon.
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Ich wünsche dir nette Kunden und freie Strassen!
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Ich wünsche viel Freude und ungezählte schöne Geschichten und interessante Begegnungen im neuen Job.
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Herberto, ganz viele Erfolge und gute Erfahrungen wünsche ich Dir 👉 als „Asphalt Cowboy“ in dem „Cash Cow“ Adventure❗️
o.k. Corral Situationen sind tunlichst zu vermeiden Cheerio ..🍀🌴
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Lieber Herbert, ich bin begeistert von der Idee und Deinem Tatendrang. Respekt. Herzliche Grüße aus Leipzig
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