Vom Auswandern nach Kanada

Gesehen bei Tadoussac, wo sich Saguenay River und St. Lorenz Strom begegnen.

Es ist gerade mal vier Uhr und vor meinem Schlafzimmerfenster ballert ein Wahnsinniger Feuerwerkskörper in den Morgenhimmel. Darf der das überhaupt? Eigentlich nicht. Aber wir sind in Kanada, da ist manches möglich, was anderswo die Polizei auf den Plan rufen würde. Außerdem ist heute Feiertag.

Zwei Seelen in einer Brust, zwei Pässe in der Tasche. Und hin und wieder auch ein paar Gedanken darüber, was gewesen wäre, wenn man damals nicht nach Kanada ausgewandert wäre und stattdessen irgendwo in Deutschland sein Glück versucht hätte.

Vor genau 157 Jahren erlangte das Land, das für mich seit fast einem halben Jahrhundert Heimat ist, seine Unabhängigkeit von der Britischen Krone.

Nach Kanada ausgewandert bin ich nicht, weil es mir in Deutschland schlecht ging, im Gegenteil. Ich hatte alles, was man sich mit Mitte 20 wünschen kann: Job, Freundin, Reisen. Okay, Haus, Hof und Kind hatte ich noch nicht. Aber gefehlt hat es mir an nichts.

Es war dieses Inserat im „Journalist“, das alles verändert hat: „REPORTER FÜR DEUTSCHSPRACHIGE WOCHENZEITUNG IN MANITOBA GESUCHT“

Manitoba! Wer konnte da schon widerstehen? Ich habe mich beworben, der Rest sind Geschichten. Vielleicht war es dem Esel einfach zu wohl, als er damals aufs Eis ging. Und dann auch noch gleich Kanada, mitten im Winter. Eisiger geht nicht.

Dem „KANADA KURIER“ bin ich nicht lange treu geblieben, der Freundin auch nicht. Dem Beruf schon. Es gibt Schlimmeres, als mit 75 Jahren auf eine Karriere als Kanada-Korrespondent zurückblicken zu können.

Jetzt, da die BLOGHAUSGESCHICHTEN zur journalistischen Spielwiese geworden sind und UBER-fahren zum Hobby, stellt man sich schon mal die Frage: War Auswandern damals die richtige Entscheidung?

Ob richtig oder falsch – keine Ahnung. Wer als junger Kerl das Abenteuer sucht und sich nicht scheut, bei minus 40 Grad die Ärmel hochzukrempeln, ist in Kanada gut aufgehoben.

Es gibt tausend Dinge, die ich an diesem Land mag. Dabei meine ich das Land Kanada und nicht unbedingt die Provinz Quebec, in der ich lebe.

Während Kanada auch heute noch Millionen von Neueinwanderern mit offenen Armen empfängt, ist es mit der kulturellen Vielfalt in Quebec nicht ganz so weit her. Hier sind engstirnige Provinzler an der Regierung, die oft nicht über den Tellerrand hinausschauen. Dass sie sich dabei mit iihrem nationalistischen Kleinklein selbst ins Bein schießen, scheinen sie in ihrem Daueranfall von Patriotismus gar nicht mehr zu merken.

Gestern vor meinem Fenster: Welcome to Canada!

Anders das Land Kanada. Mit ihrem Coolness-Faktor fühlen sich Justin Trudeau und seine Liberalen an wie eine frische Brise in den Rocky Mountains.

Viele mögen es angesichts der Probleme, die es auch hier gibt, anders sehen. Aber für mich ist Kanada noch immer ein Traumland, in dem Menschen das Sagen haben, die sich auf ihren moralischen Kompass verlassen können.

Da darf dich morgens um vier auch mal ein kleines Feuerwerk aus deinen Träumen reißen.

Happy Canada Day!


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2 Gedanken zu „Vom Auswandern nach Kanada

  1. Herbert – deine Rückblende zum Auswandern finde ich super!
    Ich erahne gerade alle Stationen, Regionen, Etappen und Hürden dieses aufregenden Abenteuers!
    Bewunderung und weiter so – ‚Mr. UBER‘.

    Dient es doch nun heute bei mir sofort als Denkanstoß zu einem ähnlichen Werdegang in der Fremde!

    Beim kleinen Berliner Knirps wurden die kanadischen Sehnsüchte durch ein Buch entfacht! (Das einsame Blockhaus – von Katrin Pinkerton)

    In der damaligen Frontstadt Berlin prasselten aber noch unendlich viele Eindrücke vom nordamerikanischen Kontinent auf mich herab!
    Meine Neugier und Abenteuerlust haben mich dann auch ziemlich schnell auf den Weg gebracht!

    Die Metropolregion im Staat New York hatte dabei die größere Anziehungskraft!
    Nach Erlangung der beruflichen Selbstständigkeit in Amerika habe ich mir das Blockhaus in Kanada aber trotzdem noch realisiert!

    Der Berliner Junge war nun dort in der Lage, alle verpassten Träume und Wünsche (durch die Kriegs- und Nachkriegszeit) seiner Kindheit nachzuholen!

    Daher mein Credo: „It’s never too late to have a happy childhood!“❗️

    Im Rückblick, no regrets – rundum eine Bereicherung! Cheerio… R🌴

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