
Wer wissen will, wie es heute um den olympischen Geist in Kanada steht, braucht nur einen Raucher zu fragen. Der wird ihm sagen, dass von jeder in der Provinz Quebec gekauften Packung Zigaretten noch immer ein Obolus in die Olympiakasse fließt. Mit ihm soll der nacholympische Schuldenberg von Montreal abgetragen werden.
120 Millionen Dollar waren für „Olympia ’76“ veranschlagt worden; weit mehr als eine Milliarde betrug die Endabrechnung.
Der damalige Bürgermeister von Montreal, Jean Drapeau, spottete seinerzeit: „Eher bekommt ein Mann ein Kind, als dass die Olympischen Spiele ein Defizit verursachen.“ Dieser Satz gehört heute zum geflügelten Sprachschatz vieler Montrealer.
In sportlicher Hinsicht waren die Spiele ein Erfolg: Eine perfekte „Zehn“ für die rumänische Kunstturnerin Nadia Comaneci – die Rekorde purzelten nur so. Bis heute werden im Hochleistungssport „Montrealer Maßstäbe“ angelegt.
Journalisten werden das organisatorische Chaos nie vergessen, mit dem sie in Montreal zu kämpfen hatten. Um überhaupt an die Sportstätten zu gelangen, mussten sie 1976 erst über Bauzäune klettern.
Ein bitterer Streik in der Bauindustrie hatte die Arbeiten um Monate verzögert. Es hieß, die Mafia habe ihre Hand im Spiel gehabt und versucht, die Sommerspiele durch erpresserische Arbeitsniederlegungen zu sabotieren – ein Vorwurf, der bis heute nicht ganz entkräftet werden konnte.
Was also ist vom Sommer ’76 geblieben? Die Olympia-Anlagen waren fast immer ausgebucht. Dabei sind es nicht immer Sportveranstaltungen, die im „Big O“, wie die Montrealer ihr Stadion nennen, über die Bühne gehen. Alles, was Rang und Namen hat, ist dort aufgetreten – von Michael Jackson bis zu den Rolling Stones.
Das Dach für das Olympiastadion, das von dem französischen Star-Architekten Roger Taillibert entworfen wurde, sollte ursprünglich ein innovatives Beispiel für moderne Architektur sein. Die aufwendige Kunststoffkonstruktion wurde mit 115 Millionen Dollar zur teuersten Kopfbedeckung der Welt.
Jahrelang löste eine Pannenserie die andere ab. Einmal krachte das Dach ein, als es über Nacht heftig geschneit hatte, was in Kanada häufiger vorkommen soll. Nur knapp wurde eine Katastrophe vermieden. Im Stadion wurde gerrade eine Automobilausstellung aufgebaut.
Jetzt sollen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Das Dach wird komplett ersetzt – für 870 Millionen Dollar.
Ein olympischer Rekord.
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Manche Dinge darf man nicht streng monetär verbuchen. Aber das weißt Du ja schon längst! 😊
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