Heimat geht durch den Magen

Ochsenmaulsalat à la Martin: Das ist Heimat!

Mit meinem Mallorca-Freund Martin verbindet mich auf den ersten Blick gar nichts, auf den zweiten aber ganz viel. Er war verbeamteter Lehrer mit Pensionsanspruch, ich Freiberufler, der einen Gehaltsscheck nur vom Hörensagen kennt. Er liebt Mozart, ich die Stones. Er schreibt Konzertkritiken, ich bunte Geschichten. Was wir gemeinsam haben? Wir beide haben unseren Lebensmittelpunkt nicht mehr in Deutschland. Und dann natürlich: Wir sind Schwaben.

Martin lebt seit 20 Jahren auf Mallorca, ich seit fast 45 in Kanada. Zurzeit hält sich Martin in Deutschland auf. Was mich wiederum zu der Frage bewegte: „Ist Deutschland noch Heimat oder nur noch ein gelegentlicher Aufenthaltsort?“

Seine Antwort: Heimat sei kein geografischer Ort, sondern ein Lebensgefühl. So gesehen sei seine Heimat längst Palma de Mallorca. Am Anfang seiner Mallorca-Zeit sei er noch zweimal im Jahr für jeweils vier Wochen nach Deutschland gereist. Inzwischen seien es nur noch zehn Tage.

Martin im Interview mit der Pianistin Milda Daunoraite

Heimat definiere er heute vor allem über die schwäbische Küche. Laden ihn Freunde in Deutschland zum Italiener ein, winkt er ab: Pizza könne er in allen Variationen auch auf Mallorca essen. In Deutschland bevorzuge er „gut bürgerlich“. Rinderrouladen mit Spätzle und Blaukraut, Schwäbischen Zwiebelrostbraten oder, eine von Martins Leibspeisen, Ochsenmaulsalat mit Bratkartoffeln.

Und dann natürlich Laugenbrezeln, die auf keinem schwäbischen Frühstücks- oder Vespertisch fehlen dürfen. Brezeln, das kann ich aus meiner Mallorca-Zeit bezeugen, gibt es in Palma zwar auch bei Lidl. „Aber“, sagt Martin mit Recht, „frisch aus dem Ofen einer schwäbischen Dorfbäckerei? Kein Vergleich!“

Was auch nicht so richtig zum Heimatgefühl beitrage, seien die unterschiedlichen Essenszeiten. Während im Schwabenland die meisten Speisegaststätten um 20:30 Uhr schließen, werde in vielen mallorquinischen Lokalen erst ab 20:30 Uhr das Abendessen serviert.

Und ich so?

Auch wenn leckeres Essen aus gesundheitlichen Gründen heute leider nicht mehr die Rolle von einst spielt, hatte ich mit kulinarischen Defiziten dank Lores Kochkunst nie zu kämpfen. Ob Maultaschen, Kässpätzle oder Dampfnudeln – was mein Schwabenherz begehrte, bekam es auch. Auch das mit den späten Essenszeiten war nie ein Thema bei uns. Meistens steht das Abendessen um 18 Uhr auf dem Tisch. Ganz wie daheim.

Als bei uns noch getafelt wurde.

Sagte ich eben daheim? Da denke ich wie Martin. Heimat ist längst nicht mehr etwas, das sich geografisch festmachen lässt. Es ist ein Lebensgefühl, das man, wenn schon nicht im Gepäck, dann wenigstens im Kopf hat.

Wenn mir etwas fehlt, dann ist es die physische Nähe zu meinen Freunden in der „Heimat“.

Freunde habe ich zwar auch hier, wunderbare Freunde, interessante, amüsante und loyale Freunde. Aber, auch das eine Lehre nach fast einem halben Jahrhundert im Ausland, organisch gewachsene Freundschaften können im späteren Leben auch nicht durch noch so gut gepflegte Freundschaften ersetzt werden.

In diesem Sinne: Ein Wohl auf meine Freunde! Ihr wisst, wer ihr seid. Und wo ihr seid. Ob daheim oder in der Heimat.


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Ein Gedanke zu „Heimat geht durch den Magen

  1. Faschdabrezga, Knauzawegga, Schitzakrapfa, frisch baggene Laugabrezga. Da wird jeder oberschwäbische Bäcker zum unersetzlichen Freund

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