Montreals Stairways to Heaven

Fragt man einen Montrealer, wo er denn wohne, hört man nicht selten: „Eine Treppe über dem Blumengeschäft“. Oder „Three flights of stairs above the coffee shop“. Oder: „2. Stock, die gelbe Treppe hoch“. Eine der häufigsten Fragen, die ich als UBER-Fahrer von Touristen höre: Warum gibt es in Montreal eigentlich so viele Treppen?

Treppen gehören zu Montreal wie Winter, Smoked Meat und der Sprachenstreit. Dabei ist hier nicht von Treppenhäusern die Rede, sondern von Treppen, die an die Außenwände von Mehrfamlienäusern angebaut sind und direkt zum Wohnungseingang führen.

Von schlichten Holztreppen bis zur kunstvoll geschmiedeten Eisenstiege mit kupfernem Handlauf – bei den „Stairways to Heaven“ ließen sich die Bauherren früher nicht lumpen. Vor allem in den sozial schwächeren Vierteln im Osten und Norden der Stadt – Hochelaga-Maisonneuve, St-Michel, Rosemont – haben Außentreppen eine lange Tradition.

Über die Hintergründe der Montrealer Treppenkultur gibt es viele Gerüchte, wenig Beweise und vermutlich auch die eine oder andere wahre Geschichte.

So wird gemunkelt, dass im letzten Jahrhundert, als in der Provinz Quebec die katholische Kirche noch das Sagen hatte, Außentreppen lieber gesehen wurden als dunkle Treppenhäuser. Man weiß ja nie, was sich dort im schummrigen Licht so alles abgespielt haben könnte.

Eine andere Version deutet auf schottische und irische Einwanderer hin, die angeblich ihre eigene Außentreppen-Kultur pflegten. Auch der Südländer, von denen es in Montreal Hunderttausende gibt, sitzt ja im Sommer gerne mal mit seinem Vino tinto auf dem Treppchen.

Und dann ist da noch eine Erklärung, die für mich am meisten Sinn macht:

Dadurch, dass die Treppen außerhalb des Hauses angesiedelt waren, bekamen die ohnehin schon beengten, mehrstöckigen Mehrfamilienhäuser mehr Innen-Wohnraum. Dies wiederum führte dazu, dass man sich unnötige Heizkosten fürs Treppenhaus sparen konnte – in einer Stadt, in der fünf bis sechs Monate im Jahr Winter herrscht, ein schlüssiges Argument.

Ich liebe diese Außentreppen, andere wünschen sie vermutlich zum Teufel. Allen voran Postboten und Lieferanten, die erst 100 Treppenstufen oder mehr hinter sich bringen müssen, ehe sie das Amazon-Paket übergeben. Und natürlich sind diese Treppen für Menschen mit Behinderung ein Albtraum.

Im Sommer könnte das alles ja noch unter dem Stichwort „sportlich“ durchgehen. Im Winter, wenn die Treppen mit Schnee bedeckt oder gar vereist sind, kann so eine schöne Treppe schnell zum Stairway to Hell werden.

Wer übrigens glaubt, die architektonisch interessanten Aufgänge dienen in erster Linie als Notausgang im Brandfall, irrt. Dafür gibt es eigene Feuertreppen auf der Rückseite der Häuser.

Hinterhof mit Feuertreppen
Fotos © Tourisme Montreal und Bopp

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5 Gedanken zu „Montreals Stairways to Heaven

  1. Das sind interessante Einblicke in eine (für mich) ganz andere Welt. Da könnte man (als Ortskundiger) glatt ein Treppenrätsel starten (… wo genau befindet sich diese oder jene Treppe ? …) – analog zum Inselrätsel (Mallorca) bei dem ich gelegentlich dabei bin.

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  2. We spent only a couple days in Montreal in 2014 and I don’t recall seeing these stairwells. But as you note, for Alie who has had rheumatoid arthritis for 56 years, they are not a good thing.

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  3. Being born and raised in Verdun, another community with „stairways to hell“, I was fortunate to live on the „richer“ side of Verdun that had indoor stairs🙏

    My „quality of life“ mantra of sorts is/has always been „Safe-Better-Best“….“stairways to hell“ may be decorative/historic but the are by far NOT safe🙏

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