Der feine, feinsinnige Nik ist tot

Es gibt Menschen, die begleiten dich ein Leben lang, auch wenn du sie nicht täglich, nicht einmal jährlich siehst. Mein Freund Nikolaus Piper, als Wirtschaftsjournalist der ganz große Welterklärer, war so ein Mensch. Jetzt ist „Nik“ im Alter von 72 Jahren gestorben.

Kennengelernt haben wir uns Ende der 70er-Jahre bei der Badischen Zeitung. Er war noch Student der Wirtschaftswissenschaften und am Anfang seiner journalistischen Karriere. Ich war 30 und hatte bereits ein gelebtes Leben hinter mir, inklusive drei Jahre in Kanada.

So unterschiedlich wir als Charaktere waren, so eng waren unsere Leben immer miteinander verflochten.

Als mich in den 80er-Jahren das komplexe Freihandelsabkommen zwischen Kanada und den USA als freier ARD-Korrespondent mehr als einmal an den Rand der Verzweiflung brachte und ich in diesem Gesetzeswirrwarr nur noch Bahnhof verstand, war Nik mein Ansprechpartner. Er konnte komplizierte politische und wirtschaftliche Zusammenhänge auf den Punkt bringen wie kaum ein anderer.

Ich erinnere mich an einen Abend, den wir zusammen in einem Hotelzimmer in Montreal verbrachten. Den ganzen Tag über hatten wir an einer Konferenz zum Thema Freihandel teilgenommen. Nik war fasziniert von den facettenreichen Ausführungen der Rednerinnen und Redner. Ich war gelangweilt, frustriert und ja, auch etwas überfordert. Und schrecklich aufgeregt, denn ich musste in der darauffolgenden Nacht immer wieder live auf Sendung gehen, um deutschen Radiohörern Details über das Freihandelsabkommen zu vermitteln.

Nik coachte mich am Abend vorher, entschlackte meine verschwurbelten Sätze und machte dadurch eine komplizierte Wirtschaftspolitik verständlich. Nach meinen Live-Sendungen gab es immerhin keine Klagen, das zählte für mich als Kompliment.

Der Welterklärer – das war der eine Nik. Die anderen Niks waren: der Hobbykoch, der Bergwanderer, der Weinkenner, der Musikliebhaber, der Bestsellerautor, der Ehemann, der Vater, der Unterhalter, der Weltreisende, der Vordenker, der streitbare Diskutierer. Der Freund.

Unvergessen die Anekdote, wie Nikolaus Piper sich als Wirtschaftsredakteur bei DIE ZEIT bewarb. Dazu muss man wissen, dass Nik zwar in Hamburg zur Welt kam, aber im oberschwäbischen Bad Schussenried aufwuchs, gerade mal um die Ecke von Ummendorf.

Das Bewerbungsgespräch in Hamburg war hochkarätig besetzt: Politik-Chefin und Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, Ex-Bundeskanzler und Herausgeber Helmut Schmidt, Chefredakteur Theo Sommer.

„Sie sind doch Hamburger,“ sagte Helmut Schmidt zu meinem Freund Nik, „warum sprechen Sie dann so komisch?“

Nik, der nie mit seinem schwäbischen Dialekt kokettierte, aber es, wie so viele Schwaben, einfach nicht schaffte, akzentfrei Hochdeutsch zu reden, antwortete auf Schwäbisch: „Weil I it andersch ka“, habe er gesagt. So jedenfalls erzählte es mir Nikolaus später. Und natürlich klappte es mit der Anstellung.

Mit Nik war ich zum ersten Mal in Nova Scotia an der kanadischen Ostküste. Es war mitten im Winter, und wir fuhren mit meinem nicht mehr ganz taufrischen Volvo-Kombi die knapp 1300 Kilometer von Montreal nach Halifax.

Gleich hinter Montreal kamen wir auf spiegelglatter Fahrbahn ins Schleudern. Der Volvo schlenkerte von einer Fahrbahnseite zur anderen, drehte sich schließlich um die eigene Achse. Sekunden kamen einem wie Minuten vor. Nik war es, der mich mit getragener Stimme am Steuer beruhigte. Irgendwann kamen wir wieder in die Spur.

Dass wir wenig später in New Brunswick mit einem Getriebeschaden liegen blieben und tagelang in einem Motelzimmer ausharren mussten, bis das Ersatzteil geliefert wurde, ist wieder eine andere Geschichte. Nur so viel: Es wurde viel geredet, gegessen, getrunken.

In Bonn habe ich Nik besucht, als er noch beim „Vorwärts“ arbeitete, einem stramm-linksliberalen Gewerkschafts-Organ. Abends saßen wir bei einem schwäbischen Vesper in seinem rheinischen Reihenhaus in der damaligen Bundeshauptstadt.

„Irgendwas fehlt hier“, befand Nik. Er holte seine Gitarre aus der Ecke, spielte und sang, bis es nacht wurde in Bonn.

Wein, Essen, Musik und Gesang brachten Niks Augen zum Glänzen. Und immer wieder die Welt erklären, ohne missionarisch zu wirken. Er konnte es einfach besser als andere.

Bei unserem letzten Telefonat war Niks Stimme brüchig und schwach. Er, dem mit seinem Bestseller „Felix und das liebe Geld“ ein preisgekröntes Erklärbuch für Kinder gelang, der öfter im „Presseclub“, dem Nachfolger des „Internatinalen Frühschoppen“, in der ARD zu sehen war, der jahrelang Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in New York gewesen war und dann nach München zurückkehrte, erzählte mir von seinen Umzugsplänen. Er und seine Frau wollten weg von München und näher zum Sohn in die Pfalz ziehen.

Die Freude im neuen Daheim währte nicht lange. Am vorigen Sonntag ist Nik gestorben. Er wurde nur 72 Jahre alt.

„Nik und das liebe Geld“>> Ein Nachruf in der Süddeutschen Zeitung <<

DEN HARVEST MOON, den ich gestern an der Farm aufgenommen habe, widme ich Dir, lieber Nik. Ohne Filter, so wie auch Du durchs Leben gegangen bist. R.I.P.

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5 Gedanken zu „Der feine, feinsinnige Nik ist tot

  1. Meine Anmerkung kommt etwas spät, aber es ist nie zu spät einen geschätzten Menschen zu würdigen. Ich kann meine Beziehung zu Nikolaus Piper nicht als Freundschaft bezeichnen. Wir kannten uns kaum, obwohl wir vier Jahre Kollegen bei der Nachrichtenagentur Associated Press waren. Er war ein Kollege, dem ich Respekt entgegenbrachte. Nikolaus Piper war Wirtschaftskorrespondent im Bonner AP-Büro, ich war Korrespondent für Hessen und Rheinland-Pfalz in Wiesbaden und Mainz. Wir hatten hin und wieder telefonisch miteinander zu tun, wenn die damalige rot-grüne Hessische Landesregierung (Börner/Fischer) wirtschaftspolitische Sonderwege ging, die der Bundesregierung missfielen, und wir trafen uns bei AP-Korrespondententreffen in Frankfurt. Nikolaus Piper war, obwohl nur zwei Jahre älter als ich, für mich und viele andere Kolleginnen und Kollegen eine Respektperson. Wie kann es auch anders sein, wenn jemand Wirtschaftskorrespondent in Bonn ist! Wenn ich dann später manchmal seine Texte in ZEIT und SZ las, konnte ich sagen: Den kenn ich aus meiner AP-Zeit! Er war ein Journalist, der fundiert, prägnant und sprachlich anspruchsvoll schrieb. Eine „Edelfeder“, wie es im altmodischen Journalistenjargon heißt. RIP.

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