Ist Wegschauen die Lösung?

© Lennart Gäbel

Mit Trump ist es ein bisschen wie mit einem Verkehrsunfall. Als Zeuge wird man, ob man will oder nicht, zum Gaffer. Zwar ist die Wahl Trumps kein Betriebsunfall der Geschichte, sondern das Ergebnis der eigentlich brillanten Strategie eines Egomanen. Aber das Bild vom fahrenden Zug, der ungebremst gegen die Wand fährt, bleibt. Reaktionen aus meinem Freundeskreis:

Er sei im Moment einfach nicht in der Lage, auch nur eine Silbe über Trump zu hören, schreibt der Neffe aus Wien. Und überhaupt sei „die Welt, wie wir sie kennen“, am Ende.

Der kulturbeflissene Kumpel aus Mallorca flüchtet sich angesichts des Wahlschocks in Szenarien, die Parallelen zwischen Napoleon und Trump enthalten. Nicht wegschauen, heißt seine Devise, sondern das Unheil analysieren.

Und der Freund aus Sherbrooke, einer der Ältesten und Klügsten, fühlt sich „erschlagen, erschossen und so tief enttäuscht wie seit Jahren nicht“.

Dass meine Freunde auf die Wahlen in den USA so empört reagieren, war vorauszusehen. Ich umgebe mich schließlich nicht mit Trumpisten, genauso wenig wie ich ein AfD-Mitglied in meinem Freundeskreis akzeptieren würde.

„Gewiss“, räumt der Herr Doktor aus Sherbrooke ein, „haben sich seit dem Neandertaler die menschlichen Werte zusehends verschlechtert. Dass aber mehr als 70 Millionen Blödköppe und -köppinnen so scheuklappig, so schwerhörig und ohne irgendeine, wenn auch nur bescheidene moralische Urteilskraft an die Urnen treten konnten, das übersteigt völlig mein Fassungsvermögen“, resümiert mein kluger Kumpel, der, wenn es um die USA geht, schon immer zu Abstrichen bereit war.

Die Schulfreundin aus Ummendorf, die heute in Las Vegas lebt, zeigt sich „fassungslos“ und befürchtet noch einmal vier Jahre Chaos: „Weiße, Schwarze, Latinos und asiatische Männer wollten also keine Frau an der Staatsspitze, zurück zum Machismo!“ Auswandern komme für sie nicht in Frage, schreibt die oberschwäbische Exilantin, die mit einem Amerikaner verheiratet ist. „Mir würde einfach die Kraft dazu fehlen.“

Aber was tun gegen die Verzweiflung? Heißt die neue Glücksformel Eskapismus? Bewahrt uns einzig und allein das schreiende Davonlaufen vor Schäden an Geist und Seele?

Jeder hat seine eigene Methode im Umgang mit unabänderlichen Situationen. Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr mit der Besessenheit des Politik-Junkies in politische Gedankengänge einzusteigen wie zu Zeiten vor Trump. Selektives Lesen hilft. Ob selektives Denken – sprich: Ausblenden – überhaupt möglich ist, wird sich zeigen.

Mir tut es leid für die Millionen von Amerikanern, die klug, anständig und völlig unschuldig an diesem Wahldesaster sind. Sie werden mit der Bürde leben müssen, die nächsten vier Jahre einen Präsidentendarsteller im Weißen Haus zu haben, den sie nicht gewählt haben.

Kamala Harris war sicher nicht die optimale Besetzung für eine Kandidatin. Aber sie war das Beste, das in so kurzer Zeit für so einen Job zu rekrutieren war. Ihre gestrige Rede hat mich wieder mit ihr versöhnt. Sie ist all das, was Trump nicht ist: klug, empathisch, anständig und zukunftsorientiert. Aber der Zug ist gegen die Wand gerast. Die Schadensbegrenzung ist uns aus der Hand genommen worden.

Vielleicht fällt der Blick auf diesen Schlamassel leichter, wenn man weiß, dass man mit seinem Zorn und seiner Enttäuschung nicht allein ist. Millionen Amerikaner mögen einen korrupten Lügner zum Präsidenten gewählt haben, aber bei Milliarden in aller Welt stimmt der moralische Kompass noch immer.

Sie gehören bestimmt auch dazu. Das ist doch schon mal was.


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4 Gedanken zu „Ist Wegschauen die Lösung?

  1. Tja ..die Zeit der großen Transatlantiker ist nun wohl erstmal vorbei.
    Die Karten werden also neu gemischt .

    Vieles mehr wird wechseln und sich verändern.

    Wie heißt es doch so schön :

    Nur die Sache die man aufgibt ist verloren❗️
    In diesem Sinne , with kind regards,
    R🌴

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  2. Ich fuerchte mich vor den naechsten 4 Jahren. Ich hoffe, dass wir nicht hier eine Wiederholung das 30. Januars 1933 haben. Blaupausen fuer eine „Machtergreifung“ existieren ja schon.

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  3. Lieber Hebo, der Neffe in Wien hat recht. Leider! Es sind nicht nur die USA; an zu vielen Plätzen auf unserem Planeten geht die Demokratie schleichend vor die Hunde. In zu vielen Staaten regieren zwischenzeitlich Egomanen, Autokraten und Populisten. Das Plebiszit hat gesprochen und zeigt einmal mehr, dass wir uns in einer Epoche der Dekadenz befinden. Wir landen offensichtlich wieder genau da, wo die Hitlers, die Stalins und die Mussolinis begonnen haben, unseren Planeten an den Rand des Abgrund zu drängen. Menschen, die vollkommen vergessen haben, dass sie nur Gast auf diesem Planeten sind und die Rolle des Gastes mit Füßen treten. Ist es wirklich so, dass wir viel zu lange keinen globalen Krieg mehr erlebt haben, sind die Nachkommen unfähig, das Leid der Vorfahren für alle Zeiten im Gedächtnis zu speichern? Knapp 80 Jahre hat uns ein Weltpolizist -oft ungeliebt, oft verschmäht- das beschert, das wir „unseren Frieden“ nannten. Wenn der Polizeichef aber selbst im Verdacht steht, ein Gangster zu sein – dann Gute Nacht!

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  4. Hier fehlen die icons, die es anderswo gibt.

    Denn deinem Bericht ist nichts hinzuzufügen – außer einem „Daumen hoch!“

    Aber wie sieht es demnächst in unserem Land aus? In Hinsicht auf die eigene, hiesige recht desolate Lage ebenso wie unter den Auswirkungen von Big-Amerika?

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