Schrulliges Genie: Bob Dylan

Joan Baez. Woody Guthrie. Pete Seeger. Diese Namen sagen Ihnen nichts? Dann wird es höchste Zeit, sie kennenzulernen – spätestens, wenn der Film “A Complete Unknown” demnächst in Ihrem Kino läuft. Diese Filmbiografie über Bob Dylan habe ich mir an diesem kalten Winternachmittag in Montreal angeschaut – und bin begeistert.

Man muss kein Dylan-Fan sein, um diesen Film großartig zu finden. Man muss nicht einmal Joan Baez oder Pete Seeger mögen. Dieser Film ist, auch losgelöst von all den Folk-Größen der 60er-Jahre, ein filmisches Meisterwerk, das alles enthält, was gute Unterhaltung ausmacht: Herzschmerz, wunderschöne New-York-Szenen – und natürlich Musik, Musik, Musik.

Hier wird mit Songs nicht gekleckert, hier wird geklotzt. Und zwar mit vollständig ausgespielten Titeln, denen man gerne noch länger gelauscht hätte.

Don’t Think Twice, It’s All Right, Like a Rolling Stone, Blowin’ in the Wind, A Hard Rain’s A-Gonna Fall, Mr. Tambourine Man … Fast unglaublich: Die Songs wurden nicht etwa in einem aufwendigen Dubbing-Verfahren über die Stimmen der Schauspieler gelegt. Es SIND die Stimmen der Darsteller.

Noch nie habe ich Dylan-Songs so authentisch gecovert gehört wie von dem großartigen Timothée Chalamet. Und die echte Joan Baez? Bitte aufstehen! Sie darf sich geehrt fühlen, von einer so begnadeten Schauspielerin wie Monica Barbaro interpretiert zu werden. Stimme, Aussehen, Mimik – die Präzision, mit der eine der bedeutendsten Folk-Sängerinnen aller Zeiten dargestellt wurde, ist Oscar-reif. Und tatsächlich: “A Complete Unknown” wurde soeben für acht Academy Awards nominiert.

Nur: Warum enthält der Film eigentlich nichts, aber auch gar nichts über Bob Dylans Jugend in Minnesota?

Als jemand, der fünf Jahre in Manitoba lebte – nur ein paar Autostunden nördlich von Dylans Geburtsort – hätte es mich brennend interessiert, wie in dieser eisigen Kälte kreative Köpfe gedeihen können wie Robert Zimmerman. So hieß Bob Dylan nämlich bei seiner Geburt, ehe er sich in den 60er-Jahren, inspiriert vom walisischen Dichter Dylan Thomas, in Bob Dylan umbenannte.

The Times They Are A-Changin: Auch bei einem wie Bob Dylan ist die Zeit nicht stehen geblieben. 1965 trat er beim Folk-Festival in Newport mit einer elektrischen Gitarre auf, begleitet von einer Band. Dieser radikale Bruch mit der traditionellen akustischen Folk-Musik sorgte für Empörung beim Publikum. Mögen die eskalierenden Schluss-Szenen im Film auch übertrieben wirken – dem Unterhaltungsfaktor hat diese Dramatisierung nicht geschadet, im Gegenteil.

“A Complete Unknown” ist eine einfühlsame und doch fulminante Biografie, die sich nicht scheut, Bob Dylan in all seiner Genialität, aber auch in seiner Schrulligkeit, ja: Gemeinheit zu porträtieren.

Selten haben sich zweieinhalb Stunden in einem Kinosessel besser angefühlt.


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3 Gedanken zu „Schrulliges Genie: Bob Dylan

  1. Danke für den Tipp – wenn ich selber nicht reingehe, ist das was für meine Mutter (ungefähr dein Jahrgang). Ich habe von Ihr eine Bob Dylan LP bekommen, die sie Anfang der 70er in Ihrer WG rauf und runter gehört hat. Wenn ich die hin und wieder auflege, bekomme ich ein Gefühl davon, wie das damals gewesen sein muss 😊

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  2. Rock was the „thing“ in college, but I was a fan of jazz. Then I married Alie, who had many folk records and sang the songs on them. Guess what we listened to. We still listen to folk music. In September, however, when we were in Duluth where he was born and Hibbing where he spent most of his childhood, we were unaware of Dylan’s connection to those towns.

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