
„Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören“, heißt es. Ich habe aufgehört – aber besonders schön war es zum Schluss nicht mehr. Meine Tätigkeit als UBER-Fahrer gehört der Vergangenheit an.
Heute vor einem Jahr begann meine Karriere als Chauffeur für den Fahrdienst UBER. Aufgeregt wie ein Schuljunge holte ich zwei junge Leute am Baumarkt ab, die keine Ahnung hatten, dass der Mann am Steuer ein 75jähriges Greenhorn war, das noch nie in seinem Leben als Taxifahrer unterwegs gewesen war.
Ich habe sie geliebt, die Fahrten durch die Stadt meines Herzens. Richter und Künstler, ein Leichensucher aus Texas, ein Gefängniswärter aus dem Yukon, Hochschwangere, Influenzer, eine Drag Queen, eine afrikanische Schönheitskönigin, Familien auf Reisen und jede Menge Montrealer wie du und ich saßen auf dem Rücksitz meines Autos, manchmal auch neben mir.
Sie haben mir Geschichten erzählt, wie ich sie mir nicht besser hätte ausmalen können. Geschichten von Trauer und Leid, von Freude und Frust, von Liebe und Abschied, von exotischen Lämdern umd lamgweiligen Jobs.
Ich hatte geglaubt, die Stadt, in der ich seit mehr als 40 Jahren lebe, in- und auswendig zu kennen. Weit gefehlt! So viele neue Ecken, Cafés, Kneipen, Restaurants und Lost Places habe ich in Montreal entdeckt, dass ich darüber ein Buch schreiben könnte.
Ach ja, das Buch.
Der ursprüngliche Plan war ja, über meine Erfahrungen zu schreiben – das hatte mich überhaupt erst zum UBER-Fahren gebracht. Und jetzt? Nach fast tausend Fahrgästen und unzähligen Stories ist die Luft raus.
Es gibt inzwischen Wichtigeres in meinem Leben, als darüber zu schreiben, warum eine Frau sich 40 Minuten lang für Geld quer durch die Stadt chauffieren lässt, ohne auszusteigen – nur um für einen Moment ihrer Einsamkeit zu entfliehen.
Bis zu meinem Krankenhausaufenthalt im Sommer war der Drive noch da: zu fahren, zu plaudern und später darüber zu schreiben. Doch dann folgten eine schwere OP und Monate der mühsamen Rekonvaleszenz. Ich merkte, dass meine Konzentration nachließ. Taxifahren ist kein Spaziergang im Park – erst recht nicht in einer Fünf-Millionen-Stadt mit Schlaglöchern, Umleitungen, Unfällen, Polizei-Verfolgungsjagden und endlosen Staus.
Sicherheit geht vor Spaß – die Sicherheit der Passagiere, aber auch die eigene. Und irgendwann war sie nicht mehr gewährleistet, diese Sicherheit. Zu viele Dinge wurden plötzlich wichtiger als Fahren und Schreiben: Medikamente, Insulinspritzen, Arzt- und Krankenhaustermine, oft auch seelische und körperliche Befindlichkeiten, die nicht immer mit einem sicheren Fahrgefühl vereinbar waren.
Dazu kommt, dass der UBER-Konzern bei genauer Betrachtung nicht gut mit seinen Fahrern umgeht. Viele Trips, wenig Kohle, hohes Risiko und noch höhere Unkosten. Fast 50 Prozent der Einnahmen bleiben bei UBER. Fair ist anders.
Trotz allem ist es ein Abschied ohne Bitterkeit. Die gute Nachricht: Ich bin bei all den tausenden Kilometern als Taxifahrer unfallfrei geblieben. Ein paar kleine Schrammen, ja – aber nichts Ernstes.
Die nicht so gute Nachricht: Als Unterhaltungsfaktor fehlt mir das Navigieren durch die Straßen der Großstadt.
Die beste Nachricht: Die Geschichten, die ich bei meinen Fahrten gehört habe, kann mir niemand mehr nehmen. Auch wenn es (wahrscheinlich) kein Buch darüber geben wird – die UBER-Chroniken leben in meinem Kopf weiter.
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Während des Lesens ging mir genau das durch den Kopf, was Du im letzten Absatz sehr treffend geschrieben hast:
„Die Geschichten, die ich bei meinen Fahrten gehört habe, kann mir niemand mehr nehmen – die UBER-Chroniken leben in meinem Kopf weiter.“
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Dankeschön! Das sind schöne Worte. Ich gebe mein Bestes.
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Das ist verständlich, aber sehr schade! Ich fand auch, es war die perfekte Symbiose… du und die Begegnungen mit so vielen unterschiedlichen Charakteren in der Stadt deines Herzens! Aber manchmal hat das Leben andere Pläne, und die eigene Gesundheit und die Sicherheit seiner Fahrgäste haben natürlich Vorrang.
Ich (und sicher viele deiner Leser*innen) würde mich sehr freuen wenn du weiterhin die interessanten Geschichten dieser Begegnungen mit deinem Witz und deiner Empathie mit uns teilen würdest.
Herzliche Grüße aus der Schwebebahnstadt, früher Montréal,
Chrissi
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I enjoyed the experiences you wrote about and told friends about it – the journalist Uber driver!
For whatever reason, when Alie got in a cab during her working days, it was the driver who told her all about his life and woes before they got to the destination. People like talking to her, but she was not a journalist – and had to give up driving at a much earlier age than you. 😊
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Danke – auch für den Buchtipp.
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Danke, das ist sehr nett von Ihnen. 🙂
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Hi, ich habe nun seit etlichen Jahren Ihren Blog abonniert und freue mich immer über einen neuen Beitrag. Heute möchte ich nur sagen, bitte geben Sie niemals das Aufschreiben auf (Geschichten von Uber Taxi) ,nur zum Beispiel Alles Gute und Liebe aus dem Westerwald, Britta
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„Fast 50 Prozent der Einnahmen blieben UBER“
Das haette ich nicht gedacht!
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Lieber Herbert,
sehr gerne verfolge ich deine Beiträge, ich hoffe auf mehr davon.
Deine Fahrt geht weiter, wenn auch nicht mit Uber.
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Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn du deine Taxigeschichten und -begegnungen hier im Blog erzählen würdest.
Liebe Grüße!
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Im Taxi entwickeln sich Begegnungen, die in dieser Form unter anderen Umständen kaum möglich sind. Die Intimität des Raumes, die Kürze der Begegnung, all das trägt womöglich dazu bei, dass Menschen sich öffnen und diese Geschichten entstehen. Als ich Taxi fuhr, vor langer Zeit, da konnte ich auch Menschen treffen, die mir ihre Geschichten erzählten. Geschichten, die ich sonst nie gehört hätte.
Eine Freundin ist über das Mitfahren in Taxis selbst zur Taxifahrerin geworden in New York. Ihre Erfahrungen lassen sich nachlesen in ihrem Buch „Driving hungry„. Über das Taxi ist sie auch ihrem Mann begegnet, einem Berliner Taxifahrer, der sich für Nietzsche interessiert.
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