Erinnerungen an Justin Trudeau

© Bopp

Das erste Mal, dass ich Justin Trudeau erlebt habe, war am 3. Oktober 2000. Es war das Begräbnis seines Vaters Pierre Trudeau in der Montrealer Notre-Dame-Basilika. Justin, damals 28 Jahre alt, hielt die Trauerrede. Es war ein bewegender Moment. Justin krallte sich mit aller Kraft in die kanadische Flagge, mit welcher der Holzsarg drapiert war.

Die Rede, die er unter Tränen hielt, klang theatralisch, vielleicht war sie es auch. Schließlich unterrichtete der spätere kanadische Premierminister damals Drama in einer Privatschule in Vancouver.

Auch bei seiner letzten Rede am vergangenen Sonntag, als Justin Trudeaus Nachfolger Mark Carney gekürt wurde, ging es wieder theatralisch zu. Das blütenweiße Taschentuch hatte der scheidende Premier vorsichtshalber gleich mitgebracht.

An den Gedanken, Justin Trudeau nicht mehr als Premierminister des Landes zu haben, das mir Heimat geworden ist, muss ich mich erst noch gewöhnen.

Aber zurück zum Oktober 2000, als Justins Vater Pierre-Elliott Trudeau zur letzten Ruhe getragen wurde. Die Sargträger waren Jimmy Carter, Fidel Castro, Leonard Cohen und der frühere Premierminister Jean Chrétien. Pierre Trudeau war ein Mann von Welt – und die Welt liebte diesen charismatischen Montrealer:

Trudeaus Charme-Offensiven waren legendär. Als ich 1980 mit ihm zufällig iin Winnipeg/Manitoba im selben Aufzug war, um zu einer Pressekonferenz in den obersten Stock des „Hotel Fort Garry“ zu fahren, stand bereits eine junge lateinamerikanische Frau im Lift, die als Reinigungskraft für das Hotel arbeitete.

Pierre Trudeau verwickelte sie vor meinen verdutzten Augen blitzschnell in ein Gespräch und überreichte ihr beim Hinausgehen die frische Rose, die er, wie immer, am Revers trug.

Minuten später, bei der Pressekonferenz, erlebte ich ihn wieder als kanadischen Regierungsschef – so wie man ihn aus dem Fernsehen kannte. Eloquent, wissend, scharfzüngig, aber immer noch so charmant wie Minuten zuvor im Aufzug.

Justin Trudeau habe ich nie mit einer Rose im Revers erlebt – auch nicht, als er vor knapp zehn Jahren Premierminister wurde. Aber bei jedem seiner Auftritte wurde ich an seinen Vater erinnert. Auch Justin konnte mit einem Satz, einem Blick, einen Saal verzaubern.

Ob bei einer Wahlveranstaltung in einer alten Fabrik im Montrealer Osten oder einer Pressekonferenz – er war seines Vaters Sohn, kein Zweifel.

Ich kann mich nicht erinnern, dass Justin Trudeau während seiner kompletten Amtszeit auch nur ein einziges Mal eine Gay Pride Parade in Montreal verpasst hätte. Ihn dort vor die Kamera zu bekommen, war eine Herausforderung. Es gab immer jemanden, der sich gerade vor dir aufbaute, um näher an ihm zu sein als du selbst. Meistens waren es Frauen. Dabei gehörte er doch uns allen – zumindest für diesen Moment.

Wie treffend da am Sonntag die Rede seiner sechzehnjährigen Tochter Ella-Grace klang: „Meine Brüder und ich haben meinen Dad viele Jahre mit euch geteilt. Jetzt holen wir ihn zurück.“

Ich werde Justin Trudeau vermissen.

Hier ist das Video vom Begräbnis seines Vaters im Jahr 2000:

© Bopp
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Immer für Überaschungen gut: Fitnessübungen für die Kameras. (Screenshot X)

Andere nehmen ihren Hut, bei Justin Trudeau ist es sein Sessel im Parlament, den er nach seiner Amtszeit nach Hause nimmt. 2500 Dollar hat er übrigens an die Staatskasse dafür bezahlt. Foto: Screenshot JdM



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