
Mit dem, was man so “Heimat” nennt, ist es ein bisschen wie mit Beziehungen: Manchmal hilft ein Blick von außen. Gestatten Sie mir also heute von Kanada aus einen kurzen, unmaßgeblichen Blick auf meine Heimat Deutschland.
Dass ich weit mehr als die Hälfte meines Lebens außerhalb meiner Heimat verbracht habe, sollte diesen Blick nicht trüben. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht deutsche Zeitungen lese und die Mediatheken von ARD und ZDF anklicke. Selbstverständlich wird auch der Tatort am Sonntagabend zelebriert.
Oft, vor allem wenn es die Tagesaktualität gebietet, höre ich deutschsprachige Nachrichten. Dank diverser Apps ist das ein Klacks. Danke, Internet!
Ich führe fast täglich Gespräche mit Freunden und früheren Kollegen über die Lage der Nation, in der ich groß geworden bin. Ich besitze noch immer einen deutschen Pass und war seit meiner Auswanderung nach Kanada hochgerechnet 200 Mal in Deutschland.
Fangen wir mit Äußerlichkeiten an. Was mir immer wieder auffällt: Die meisten meiner Landsleute sind sehr gut gekleidet. Modern, markenbewusst – und ein bisschen was kosten darf es auch.
Vor ein paar Tagen habe ich eine Straßenumfrage aus Düsseldorf gesehen (okay, Düsseldorf, schon klar). Aber es war wirklich bemerkenswert, mit welcher modischen Stilsicherheit sich sämtliche Protagonisten vor der Kamera inszeniert haben.
Hier in Kanada legen die Menschen weniger Wert auf modischen Schnickschnack. Vielleicht ist es dem harten Klima geschuldet. In erster Linie ist es wichtig, dass man es warm und kuschelig hat. Da dürfen im Theater schon auch mal Moonboots getragen werden.
Menschen in Deutschland fühlen sich vor der Kamera generell unwohler als Leute, die im kanadischen Fernsehen interviewt werden. Als wenn sie mit dem Mikro in der Hand das Licht der Welt erblick hätten, plappern die meisten Kanadier so unverbaut in die Kamera, dass man vor so viel Telegenität und Textsicherheit in die Knie gehen möchte. Eine natürliche Scheu vor den Medien scheinen viele Kanadier nicht zu kennen.
Kanadier beschweren sich weit weniger als meine deutschen Landsleute. Dabei hätten sie allen Grund dafür. Die Sozialleistungen reichen nicht einmal im Ansatz an die in Deutschland üblichen. Physio nach einer noch so schweren OP? Nie gehört. Wetter? Ist halt so. Politik? Wer nicht wählt, ist selbst schuld. Mieser Service in Bars, Restaurants, Cafés oder Hotels? Selber schuld. “What you pay is what you get”.
So, und jetzt geht’s ans Eingemachte: Warum dauert in Deutschland eigentlich alles so schrecklich lange?
Die Verhandlungen, die hoffentlich bald zur Regierungsbildung führen, ziehen sich jetzt schon seit mehr als sechs Monaten hin. Kein Wunder: Wenn vor wichtigen Beschlüssen erst einmal eine Kommission darüber entscheidet, welche Schriftart für die Verträge gewählt wird und in welchem Zeilenabstand die Dokumente gedruckt werden.
Monströse Koalitionsverträge, unterschiedliche Parteikulturen, Parteitage und Mitgliederbefragungen, ständiges Taktieren, zusammen mit Eitelkeiten, die bedient werden wollen – all das ergibt ein episches Theater in zahlreichen Akten.
Bis auf die Koalitionsverträge verläuft eine Regierungsbildung auch in Kanada nicht viel anders. Koalitionen nach deutschem Vorbild gibt es hier nicht. Die Parteien schätzen ihre Unabhängigkeit und meiden formelle Bündnisse. Dafür sind Minderheitsregierungen eher die Regel als die Ausnahme. Auch nicht weniger kompliziert, einen Konsens zu finden, schätze ich.
Egal aus welchem Grund: Politisch-parlamentarisch geht hier alles wesentlich schneller als in Deutschland. Schließlich will ein Land regiert und nicht seziert werden. Erst recht in Zeiten wie diesen.
Mal sehen: In Kanada wird am 28. April ein neues Parlament gewählt. Innerhalb von zehn bis zwölf Tagen nach der Wahl dürfte die Regierung stehen – inklusive eines komplett neuen Kabinetts. Bei einer Minderheitsregierung kann es ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Nur einmal, nach den Neuwahlen von 2015, hat es bis zur Kabinettsbildung für kanadische Verhältnisse richtig lange gedauert: Genau 16 Tage.
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