Der Rollator radelt mit

Jeder hat im Leben so seine Meilensteine. Abitur. Auslandsstudium. Jakobsweg. Meine Ziele sind inzwischen bescheidener geworden: Stadtwanderungen und Fahrradfahren. Beides ist aus Gründen meiner eingeschränkten Mobilität schwierig.

Lore hatte wieder einmal die zündende Idee: „Pack doch einfach den Rollator aufs Fahrrad.“ Genau genommen war es gar nicht ihre Idee. Sie hatte ein paar Tage zuvor einen Radfahrer gesehen, der seinen Rollator auf dem hinteren Gepäckträger festgeschnallt hatte. Seither bekam ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf.

Gestern dann wagte ich die bisher längste meiner Rollator-Touren: sechs Kilometer, von hier bis zur Altstadt am Hafen. Es war anstrengend, sehr sogar – aber mit vielen kleinen Pausen machbar.

Nur: Wie komme ich zurück? Noch einmal dieselbe Strecke mit dem Rollator – selbst bei bestem Willen unmöglich.

U-Bahn? Zu weit bis zur nächsten Station.

Bus? Weit und breit keine Haltestelle.

Uber? Taxi? Hmmm …

Also dann wohl doch zu Fuß – in der Hoffnung, dass mich unterwegs nicht die Kräfte verlassen. Aber irgendwie geht irgendwo immer alles.

Am Rande der Altstadt führt mich der Weg an einem BIXI-Stand vorbei – so heißen hier in Montréal die Mietfahrräder. Ein Rad sticht sofort ins Auge: hellblau, das einzige E-Bike weit und breit.

Sofort fällt mir Lore mit ihrem Radfahrer ein, der den Rollator mit sich schleppt. Doof: BIXI-Räder haben hinten keinen Gepäckträger. Dafür vorne eine Art Hartplastikschale mit Gummizug – gedacht für Handtaschen oder Einkaufstüten.

Was dem einen seine Einkaufstüte, ist dem anderen sein Rollator.

Spätestens jetzt macht sich die Investition in das angeblich leichteste Rollator-Modell der Welt bezahlt. Mein „Acre Ultralight“ – 4.8 Kilo leicht – lässt sich problemlos in der Schale verstauen. Einmal festgezurrt, sitzt er wie angegossen. Meine erste Fahrradtour dieser Saison kann beginnen.

Mit dem E-Bike sind sechs Kilometer ein Klacks. Man muss mir mein Glück angesehen haben.

„Supercool“, ruft der Teenager, der mir auf dem Fahrradweg entgegenkommt, Victory-Zeichen inklusive. „Two thumbs up“, höre ich den städtischen Arbeiter sagen, der mit dem Leeren der Abfalleimer beschäftigt ist.

„Wie jetzt?“, fragt bei der Ankunft in St. Henri ungläubig der Typ am BIXI-Stand. „Fahrrad oder Rollator?“ Ich: „Beides.“

Mein Meilenstein.


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8 Gedanken zu „Der Rollator radelt mit

  1. hallihallo, mir wäre die Geschichte mit dem Bixi Bike schon wieder zu viel Aufwand und Abhängigkeit! Ich würde diese Trageaufnahme Kopieren lassen und an mein eigenes Fahrrad montieren – oder? Eventuell aber auch einen Kinderfahrrad Anhänger mit einer Zugstange an der Sattelstütze befestigen und dann den Rollator, die Einkäufe und Antiquitäten da drin verstauen ? (oder die künftigen Enkelkinder❓) 🍀LG Cheerio R🌴

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  2. Damals habe ich Deine Blogs zum Jacobsweg verfolgt. Durchhalten und das Unmögliche möglich machen war die Devise.

    Auch wenn es heute eine andere Liga ist, hat sich an Deiner Grundeinstellung nichts verändert – und das bewundere ich.

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  3. Klasse!! Siehst richtig cool aus! Fragt man sich, wieso man nicht eher auf solch eine gute Idee kommt 💡

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  4. Oh, schön! Wenn man sich zu helfen weiß, kann doch einiges noch möglich werden im Alter. Ein schönes Beispiel für einen lifehack for disabled people, von denen es mehr bräuchte.

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