Farmer mit Herz und Boden

Wenn Sie demnächst irgendwo in Europa in einen Tofu-Burger beißen, könnte es gut sein, dass die Sojabohnen dafür von unserem befreundeten Nachbarn Dennis und seiner Frau Kathy stammen. Die beiden betreiben direkt an der amerikanischen Grenze, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Cassians Farm, einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb, der zu den größten in der Region zählt.

Die Sojabohnen von Dennis’ Feldern sind wegen ihrer Qualität gefragt – viele Tonnen davon werden Jahr für Jahr über den Hafen von Montréal in alle Welt verschifft.

Auf den ersten Blick wirken Dennis und Kathy Wallace wie viele andere Landwirte in der Montérégie, südlich von Montréal: geerdet, von der Sonne gebräunt, gastfreundlich, fleißig und unermüdlich in ihrer Hilfsbereitschaft.

Wer sich aber – wie ich heute – von Dennis mit dem Pickup über seine Felder, Wiesen und Wälder führen lässt, merkt schnell: Hier sind Menschen am Werk, denen nicht nur der Ertrag, sondern auch Natur und Ernährung am Herzen liegen. Zwar ist der Betrieb nicht offiziell bio-zertifiziert, doch hier wird Landwirtschaft mit Respekt vor dem Boden betrieben. Mit modernster Technik – und einem Verantwortungsgefühl, das inmitten der computerisierten Maschinen fast nostalgisch wirkt.

Dennis und Kathy bewirtschaften 530 Hektar Ackerland und weitere 165 Hektar Wald – auch für kanadische Verhältnisse beeindruckende Zahlen. Für meine oberschwäbischen Leser, wo noch wie früher gerechnet wird: Das sind etwa 2800 Morgen. Zusammen entspricht das ziemlich genau der Fläche von 1000 Fußballfeldern. Neben Sojabohnen gedeihen hier unter anderem Mais, Weizen, Roggen und grüne Bohnen.

Der Wald wird nur genutzt, wenn Holz für den Bau einer neuen Scheune oder Maschinenhalle benötigt wird. Und Maschinen gibt es viele: Dutzende landwirtschaftliche Fahrzeuge gehören zu den „Wallace Farms“, deren Flächen sich über das Gebiet zwischen Hemmingford und Lacolle erstrecken.

Doch nicht nur Größe und Fuhrpark beeindrucken. Es ist vor allem die Hingabe, mit der Dennis und Kathy ihren Betrieb führen. Dass sich aus ein paar Wiesen und Feldern, die einst Dennis’ Großvater gehörten, inzwischen ein kleines Imperium entwickelt hat, erzählt von Weitsicht, Mut und Beharrlichkeit.

Mit Viehzucht – so lukrativ sie auch sein mag – konnte Dennis nie viel anfangen. Sein Herz schlägt für den Ackerbau. Gearbeitet wird mit einem kleinen, handverlesenen Team aus der Region.Und anders als viele seiner Kollegen setzt Dennis so wenig Chemie wie möglich ein. Stattdessen vertraut er auf natürlichen Dünger – am liebsten von Hühnern, aber auch von Schweinen und Schafen.

Der Boden soll leben, nicht ausgelaugt werden, heißt Dennis‘ Credo. Käfer, Würmer, Mikroorganismen – bei den Wallaces sind sie keine Schädlinge, sondern willkommene Mitbewohner unter der Erde.

Und das Ergebnis? Erträge, die sich in Menge und Qualität sehen lassen können. Arbeit, die man schmeckt. Nicht nur im Tofu-Burger.

Montréal: Der Blick von außen

„Das bessere Amerika“: Marcel über Montréal (links) und Toronto.

Wenn man mehr als sein halbes Leben an einem Ort verbringt, braucht es manchmal einen Augenöffner von außen, um diesen Ort wertzuschätzen. Marcel, ein befreundeter Journalist aus Köln, hat mir diesen Eye Opener jetzt frei Haus geliefert. In diesem Gastbeitrag schildert er seine Eindrücke, die er vor einigen Wochen in Kanadas beiden größten Städten Toronto und Montréal gesammelt hat:

Montréal hat auch 20 Jahre nach meinem Studienaufenthalt nichts von seinem Charme eingebüßt – im Gegenteil: Stadt und Bewohner wissen ganz genau, was sie können – und was nicht. Kein Big Business, dafür ein bunter Strauß an Festivals, extrem viele grüne Ecken, Radwege und endlose Terrassen mit hippen Cafés und Restaurants an jeder Ecke. Oft inklusiv gedacht – denn es braucht nicht zwingend viel Kohle, um am Leben teilzunehmen.

Etwas verwundert las ich auf einer lokalen Szene-Seite über das Stadt- und Nachtleben, Montréal sei so etwas wie ein „Little Berlin“ – für mich ist das Bullshit. Nicht nur, weil beide Städte mitsamt ihrer Agglomeration nahezu gleich groß sind, sondern weil Montréal in meinen Augen entspannter, weltoffener und bunter ist als das oft graue, raue und gestresste Berlin.

Montréal kombiniert auf fast perfekte Weise den europäischen Anspruch an Kultur und Lebensart mit nordamerikanischer Gelassenheit und viel Pioniergeist. Mein Gefühl: Die Stadt hat ihren Minderwertigkeitskomplex etwas abgelegt – sie muss wirtschaftlich nicht mit New York, Toronto oder Chicago mithalten, um eine Weltstadt auf Spitzenniveau zu sein.

Montréal braucht keine Fußball-WM, keine 800 Meter hohen Wolkenkratzer und keine künstlichen Shoppingmalls, um großartig zu sein – die Stadt trägt den Stolz ihrer eigenwilligen Schönheit tief in der Seele. Der Vibe saugt dich ein und lässt dich förmlich in seinem Rhythmus mitleben.

Und dann Toronto:

Schon auf dem Weg in die Stadt hat uns der andauernde Boom geflasht. Die 20 Fahrspuren auf dem Highway 401 gab’s vor einigen Jahren noch nicht – und sie sind selbst für deutsche Autobahnfahrer verdammt viele. Toronto ist noch multikultureller – auf den Nebenspuren sind viele mit Turban oder chinesischen Glücksbringern unterwegs.

Es ist dieses kanadische Mosaik, das sich hier noch deutlicher vom US-amerikanischen Melting Pot abhebt. Die Hochhausdichte in Uptown, Midtown und Downtown ist spektakulär – immer wieder versperren neue Ballungszentren die Sicht. Nur der ikonische CN Tower bleibt als verlässlicher Orientierungspunkt.

Toronto produziert Geld – viel Geld. Und das hat die Stadt über die Jahre deutlich attraktiver gemacht. Downtown, King St. West und das Distillery District bieten dutzende coole Bars, Clubs und Restaurants. Das Publikum ist noch diverser als in Montréal. Die Einstiegshürden, auch sprachlich, sind niedriger. Man ist umgeben von englischsprachigen Bankern und IT-Profis aus China, Pakistan oder Bangladesch.

Entsprechend vielfältig ist auch das gastronomische Angebot. Keine Frage: In Toronto lässt es sich hervorragend leben. Die Inseln im Lake Ontario lassen den Großstadtdschungel in wenigen Minuten vergessen.

Schon sehr schön – aber wie in der Liebe: Manchmal springt der Funke trotz vieler rationaler Argumente einfach nicht über. Dann muss man eben weiter – oder doch zurück?

Hier wie dort: Es ist das bessere Amerika.

MONTRÉAL: Entspannt, weltoffen. bunt. Foto: Bopp
TORONTO: Schon schön, aber … Foto: Marcel

Der Herr der tausend Blumen

Paul Mérineau: Ein Leben für die Blumen.

Irgendwo zwischen St-Bernard-de-Lacolle und dem Dorf Hemmingford – dort, wo sich möglicherweise wirklich Fuchs und Hase gute Nacht sagen – versteckt sich in einer Waldlichtung ein schlichtes weißes Holzhaus. Davor breitet sich eine Blumenwiese aus, so prall und leuchtend, dass sie manchen Autofahrer kurz innehalten lässt. Oder, wie in meinem Fall, den eBiker.

Lore und Cassian kannten ihn schon von einer früheren Begegnung. Heute habe auch ich den Mann kennengelernt, der diese Wiese seit vielen Jahren hegt und pflegt und Menschen dazu bringt, kurz aus ihrem Alltag auszusteigen.

Der Hüter der tausend Blumen heißt Paul Mérineau. Er ist 75 Jahre alt, trägt einen langen weißen Bart, graues Haar und ein kariertes Hemd. Er hat eine sanfte Stimme, hinter seiner runden Brille liegen freundliche, wache Augen.

Man könnte sich Paul auch in einer Hütte in den Bergen vorstellen, wie er am Kamin sitzt, Geschichten erzählt oder seinem Enkelkind das Schnitzen beibringt. Aber er steht da, wo er am liebsten steht: Vor seiner Blumenwiese neben seinem weissen Holzhaus.

Der Blogger und der Blumenfreund: Paul Mérineau.

Geschichten erzählt Paul tatsächlich – aber am liebsten spricht er über seine Blumen. Sie sind sein Schatz, sein Werk, seine Freude.

Ich kam heute zufällig an seinem Haus vorbei, hielt an, um mir die Blumenpracht aus der Nähe anzusehen. Und wie das so ist, wenn sich zwei Menschen sympathisch sind, kamen wir ins Plappern.

Paul ist Frankokanadier und gelernter Landwirt, hat aber einen Großteil seines Berufslebens als Direktor eines Bestattungsinstituts in Montréal verbracht – übrigens nur rund 200 Meter von unserer Stadtwohnung entfernt.

Es gibt noch mehr Parallelen: Pauls erste Frau stammt aus Hudson, jenem Ort, in dem auch wir 25 Jahre gelebt haben. Seine heutige Partnerin kommt aus der Bronx in New York City – ihretwegen ist Paul von Montreal aufs Land gezogen. Die US-Grenze verläuft nur ein paar Kilometer südlich seines Hauses. Für sie fühle sich das hier fast wie Heimat an, sagt Paul.

Eine Zeitlang lebte Paul auf dem Mohawk-Territorium Kanesatake, das 1990 durch den sogenannten Oka-Konflikt internationale Aufmerksamkeit bekam. Damals protestierten Mitglieder der Mohawk-Community gegen die Erweiterung eines Golfplatzes auf ihrem angestammten Land. Paul, selbst kein Ureinwohner, fand sich plötzlich mitten in den Verhandlungen zwischen der Polizei, den Mohawk und schließlich dem kanadischen Militär wieder.

So tragisch dieses Ereignis war, wir streiften das Thema an diesem herrlichen Sommertag nur am Rand. Stattdessen sprachen wir über Kanada, Amerika, Trump, Familie, Kinder, Ahnenforschung – und, natürlich, über Autos.

Doch vor allem ging es heute um Blumen. Schöner könnte eine erste Begegnung kaum sein.

Die obigen Fotos stammen von heute.
Die unteren drei Fotos zeigen Pauls Wiese im Juni. Die Fotos stammen von seiner Facebook-Seite.

Urlaub daheim: Nachhaltig schön

Urlaub daheim kann ja so schön sein. Du packst ein Sandwich ein, füllst deine Thermostasse mit Kaffee, schwingst dich aufs Fahrrad und lässt dir den Wind bei 30 Grad ins Gesicht blasen. Du frühstückst im Park, entdeckst eine alte Lagerhalle in der Altstadt, die dich an deinen letzten Besuch in Kuba erinnert, und beobachtest Menschen, die es eiliger haben als du. Am Abend sitzt du auf der kleinen Plaza bei der Markthalle, dort, wo im Sommer eine schwimmende Bar festgemacht hat, und freust dich, dass du in einer Stadt wohnst, in der du in wenigen Stunden Dinge erleben kannst, für die andere um die halbe Welt reisen. Die schönsten Fundstücke meiner kleinen Auszeit finden Sie hier:

Sieben Tage Sommer in Montréal

Bei strahlend blauem Himmel, wenn also die Sonne lacht, ist es kein Hexenwerk, die Stadt meines Herzens im besten Licht erstrahlen zu lassen. Auch diese Woche sind wieder einige Fotos entstanden, die ich für Sie eingefangen habe: Auf dem Plateau Montréal, einem pulsierenden Viertel im Herzen der Stadt. In St. Henri, wo wir nun schon seit 15 Jahren zu Hause sind. Und natürlich durfte auch Le Vieux Port in der Altstadt nicht fehlen – dorthin hat es mich erst heute früh wieder gezogen. Klicken Sie sich durch und genießen Sie mit mir ein Stück Sommer in Montréal.