Die Influencer meiner Kindheit

Mutter hat „Klosterfrau Melissengeist“ geschluckt, wenn es ihr mal nicht gut ging. Vater zündete sich gerne Zigarren der Marke „Handelsgold“ an (zum Wohlgefallen der Kinder, die „verheiratet“ spielen und sich den goldenen Papierring über den Finger stülpen konnten). Der große Bruder leistete sich zum Frühstück schon mal eine Tasse „Ovomaltine“ (Achtung, Sportler!), während der mittlere sich hin und wieder einen Eierlikör der Firma Verpoorten gönnte (Achtung, erwachsen!), wenn auch nicht zum Frühstück.

Eitelkeit wurde in meinem Haus nicht besonders großgeschrieben, Hygiene dagegen schon. Also lag öfter mal ein Päckchen Seife „Irischer Frühling“ oder „Fa“ auf dem Waschbecken. Später, als die Nachkriegswehen nur noch als Legende herhielten, stand „Irish Spring“ grasgrün auf schwarzem Grund gedruckt.

Mindestens eine Sprühdose „Taft“ gehörte auch zur Grundausstattung unseres Badezimmers. Ob es Mutter war, die sich damit das Haupthaar festigte, oder die große Schwester – daran erinnere ich mich beim besten Willen nicht mehr.

Aber daran, dass „Kölnisch Wasser 4711“ zu den Luxusgütern meiner Nachkriegs-Kindheit gehörte, erinnere ich mich noch bestens. Als ich dann im bereits sehr erwachsenen Alter erstmals vor dem 4711-Haus in der Kölner Glockengasse 4 stand, war dies ein ergreifender Moment.

„Tabac“ war meine bevorzugte Marke, wenn es um Rasierwasser ging. Der mittlere Bruder machte sich mehr aus „Russisch Leder“. Womit Vater sich verwöhnte, weiß ich nicht mehr, ich glaube, es war „Old Spice“. Manchmal roch er wie eine Parfümfabrik. Ich liebte das, denn sein Geruch verhieß: Feierabend oder Wochenende. Wer in einem Handwerkerhaushalt aufgewachsen ist, weiß, wie wertvoll arbeitsfreie Stunden damals waren – und heute vermutlich immer noch sind.

Bohnenkaffee gab es nur sonntags und zu besonderen Anlässen. Dann duftete es bei Bopps nach „Jacobs Kaffee wunderbar“. Kostproben davon hatte gelegentlich ein anverwandter Cousin frei Haus geliefert. Der war, nachdem er den Handel mit „Rama“-Margarine – vielleicht war es auch “Sanella” – aufgegeben hatte, Kaffeevertreter geworden. Im VW-Bus tingelte er über Land und brachte seine Ware an Mann und Frau.

Für das alltägliche Frühstück brühte Mutter „Günzburger“ auf. Das war ein Kaffee-Ersatz für Menschen, bei denen das Geld nicht auf den Bäumen wuchs. Wir Kinder kamen zwar selten in den Genuss von „Günzburger Kaffeemittel“, wie das Gesöff vornehm umschrieben wurde. Wir liebten den als „Muckefuck“ bekannten Kaffee-Ersatz aber trotzdem, weil sich in dem gemahlenen braunen Puder stets kleine Überraschungen verbargen: eine Kaffeetasse aus Plastik, eine Kanne gar oder auch nur ein lächerliches Löffelchen. Eine wahre Wundertüte!

Die Zigarettenmarken meiner Jugend hießen „Supra“, „Astor“, „Overstolz“, „Reval“, „Rothändle“ oder „Ernte 23“. Vater rauchte, wenn gerade keine Zigarre zur Hand war, „Peter Stuyvesant“. Vielleicht, weil die Filterzigarette als jene Marke angepriesen wurde, die den „Duft der großen, weiten Welt“ versprühte. Wer besonders cool sein wollte, rauchte „Kent“. Einen besonders geistreichen Slogan dazu hatten wir Buben auch: „Wer Kent kennt, kennt Kent“.

Die Jugend von heute sei verrückt nach Marken, Labels und Brands, sagen Sie? Echt jetzt? Ich wette: vermutlich auch nicht mehr als früher. Nur dass der Begriff des Influencers noch nicht geschaffen war. Ein Influencer war jemand, dessen Ware man riechen, trinken, ertasten und erfühlen konnte. Also jeder.

Ganz schön aufregend, so in der Vergangenheit zu stöbern. In den 60er-Jahren würde das Werbemännchen der Zigarettenfirma jetzt zur Beruhigung der Nerven empfehlen: „Nur nicht in die Luft gehen, greife lieber zur HB.“

Darauf einen Dujardin.