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Über Herbert Bopp

Deutscher Journalist bloggt aus Kanada. Lebt in Montréal, auf Mallorca und im Internet. Mag Kommentare am liebsten per Mail: bloghausmail@herbertbopp.com

(M)eine Woche in Montreal

Es gab Regen und Sonne, Surfer und eine kleine Stadtwanderung. Sogar ein Mini-Fahrradausflug war dabei – und natürlich wieder leckeres Essen: chinesische Dumplings und Za’atar vom libanesischen „Café Chez Teta“. Eigentlich die perfekte Woche.

Leonard Cohen, my man, ist immer und überall präsent, wenn es um Literatur oder Kunst geht in Montréal – auch in dieser Mini-Buchhandlung an der Avenue Mont-Royal.

Zu den Tassen: Americano? Nein, danke – nicht mit diesem Wüstling im Weißen Haus. Dann lieber einen gepflegten Canadiano.

Wandbemalungen an der Rue St-Denis und ein bisschen frühsommerliche Stimmung gab’s obendrein – mit einem Hibiskus-Gruß live aus Balkonien.

Drei Sekunden Nervenkitzel

Wenn man so langsam auf die 80 zugeht, fängt man schon mal an, sich Gedanken über seine Bucket List zu machen. Was will ich eigentlich noch erleben, bevor mich der Große Regisseur von dieser Welt in eine andere befördert?

Einen Sonnenaufgang auf einem Vulkan? Einen Sushi-Kochkurs bei einem japanischen Itamae? Mit dem Kajak durch eine smaragdgrüne Bucht paddeln? Oder, wie Leonard Cohen, ins Zen-Kloster gehen?

Eines steht jedenfalls fest: Bungee-Springen gehört nicht dazu. Spätestens seit heute Nachmittag bin ich mir da sicher.

Eher zufällig wurde ich Zeuge eines Bungee-Sprungs im Alten Hafen von Montreal. Der Turm, der im Hollywoodfilm The Day After Tomorrow (2004) in Flammen aufging, dient seit ein paar Tagen als Plattform für Bungee-Sprünge. Genau genommen ist es nicht der Turm selbst, sondern ein Kran, der direkt daneben aufgestellt wurde – 64 Meter hoch, so hoch wie der Ummendorfer Kirchturm.

Eigentlich wollte ich nur ein wenig Luft schnappen, als sich um die Bank, auf der ich saß, kleine Grüppchen bildeten. Wo Handys gezückt werden, passiert meistens was.

Also zückte ich auch meines – und wurde Zeuge, wie eine Frau sich an einem Seil vom Kran-Arm in die Tiefe stürzte. Unter ihr der Sankt-Lorenz-Strom, vor ihr die Skyline von Montreal. Und rundherum ein paar Dutzend Schaulustige, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten.

Seltsam. Obwohl ich sonst für ziemlich viele Abenteuer offen bin, hat mich der Bungee-Sprung wenig beeindruckt. Vielleicht, weil ich als Kandidat ohnehin nicht mehr infrage komme.

Vielleicht auch, weil Bungee-Springen gefährlicher aussieht, als es tatsächlich ist. Die Sicherheitsstandards seien extrem hoch, ließ ich mir sagen. Die Ausrüstung wird ständig überprüft, und gut ausgebildete Teams sorgen dafür, dass alles reibungslos abläuft.

Nervenkitzel, ja. Aber echtes Risiko? Eher nicht. Die größte Herausforderung liegt wohl daran, den Sprung zu wagen und sich selbst zu vertrauen.

Vielleicht liegt mein mangelnder Enthusiasmus aber auch an dem ernüchternden Preis: Knapp 200 Dollar für einen Sprung, der kaum drei Sekunden dauert?

Nein, danke.

Dann doch lieber eine Kinokarte für „Mission Impossible“. Da macht Tom Cruise seine Stunts noch selber.

Nestbau? Keine coole Idee …

Spatzen sind nicht blöd. Bei der Wohnungssuche entwickeln sie sich zu echten Immobilienprofis: Lage, Lage, Lage. Am liebsten geschützt. Dachrinnen, Mauerlöcher, unter Ziegeln. Oder – wie in unserem Fall – hinter der Wärmepumpe, die bei uns gleichzeitig als Klimaanlage dient.

Was tun bei der ersten Hitzewelle des Jahres? Gefühlte 33 Grad sind es heute, die Luftfeuchtigkeit bei schätzungsweile zehntausend Prozent. Mir läuft der Schweiß übers Gesicht, während ich diesen Text tippe. Dabei wäre alles so einfach: Klimaanlage an, kalte Luft rein, Sommer kann kommen.

Dummerweise liegt das frisch gebaute Spatzennest direkt hinter besagter Wärme-Kälte-Wunderpumpe auf dem Balkon. Ein Schalterklick – und das Spatzennest wäre geschreddert, zumindest aber wäre es vorbei mit der Schonzeit für die brütende Spatzenmama.

Aber was tun? Ein Spatzenweibchen legt meist 4 bis 6 Eier. Die Brut dauert etwa zwei Wochen. Danach bleiben die Küken nochmal zwei Wochen im Nest, bis sie flügge sind. Vom ersten Strohhalm bis zum Abflug vergehen also locker bis zu 40 Tage. Das bringt uns schnurstracks in den Juli – den Monat, in dem Kanada so richtig den Backofen anschmeißt.

„Wir schaffen uns für die Wohnung einen zusätzlichen Ventilator an“, sagt die Frau an meiner Seite. Lores Herz, muss man wissen, schlägt bei Vogelgezwitscher Purzelbäume. Spatzen liebt sie besonders. Sie kämpfen sich Jahr für Jahr durch den kanadischen Winter, bei dem das Thermometer auch mal auf minus 40 Grad abtaucht. Echte Überlebenskünster seien das, sagt Lore.

Und jetzt sollen wir ihnen den Nestbau versauen, nur weil es uns ein bisschen warm ist? Wobei: „ein bisschen“ ist relativ. 33 Grad sind kein Witz für zwei nicht mehr ganz taufrische Körper.

Während ich das hier schreibe, sitzt die Spatzenmama wieder frech auf dem Balkongeländer. Mal mit Grashalm im Schnabel, mal mit Stroh, dann mit Federn, Papier, Haaren, Schnüren… Ein fliegender Second-Hand-Shop.

So viel Mühe verdient Dankbarkeit. Ich glaube, ich schwitze lieber noch ein paar Tage. Oder Wochen. Oder Monate.

Ein kleines bisschen Sommer

Blütenpracht am „Tour de l’Horloge“ am Ufer des St. Lorenz Stroms.

Der Winter war hart, lang und entbehrungsreich. Schneereich wie selten zuvor war er obendrein – und dann kam auch noch ein Trauerfall in der Familie dazu. Vergnügen sieht anders aus.

„Alles wird gut“, schreibt der Sohn von der Farm und hängt ein vierblättriges Kleeblatt an seine Nachricht. Ja, alles wird gut. Oder zumindest besser.

Die letzten beiden Tage waren schon mal verheißungsvoll: sommerliche Temperaturen, die ersten kleinen Radtouren. Ein Treffen mit dem Kumpel im Café, zufällige Bekanntschaften im Park mit Menschen aus Armenien, Tunesien, Argentinien und Frankreich. Alles wird gut.

Auch die neue Regierung in Ottawa hat sich auf die Fahne geschrieben, nicht nur alles gut, sondern besser zu machen. Die ersten Signale aus der Bundeshauptstadt sind positiv. Kaum war Premierminister Mark Carney im Amt, zeigte er dem Präsidentendarsteller in Washington seine Grenzen auf. Ob wirklich alles gut wird, weiß niemand.

Am guten Willen aus Kanada mangelt es jedenfalls nicht. In sage und schreibe gerade mal zwei Wochen nach der Wahl – hallo, Herr Merz? – hat Mark Carney eine solide Regierungsmannschaft aufgestellt. Gestern wurde das neue Kabinett vorgestellt: Frischer Wind und erfahrene Köpfe – was die liberale Regierung in Ottawa bislang präsentiert, kann sich sehen lassen. Keine markigen Worte, dafür Taten. So geht gute Politik.

Auch wenn der Sommer streng genommen noch ein Frühling ist, liegt in den Bildern schon der Zauber heißer Tage und lauer Nächte. 26 Grad und strahlend blauer Himmel – am 14. Mai – das gibt’s im kalten Kanada nicht oft.

Also doch: Alles wird gut.

Ein Tag, der so beginnt …
… kann ja nur Glück bringen.
Die erste Radtour der Saison.
Ein paar Knospen machen noch keinen Sommer. Aber es wird – wie hier an der Rue St. Denis.
Wenn der Cirque du Soleil mit seiner neuen Show beginnt …
… sind die erstenTouristen nicht mehr weit.
Stöcke im Gerpäck – da kann kommen, was will.
Andere reisen nach Asien. Wir holen uns ein Stück Tokio in den Park.
Bahnverkehr – mitten durch Montreal.
Fit, fitter, Riesenrad: Sportlich am Alten Hafen unterwegs.
Aus „Arrêt“ wird „ART“: Krestive Sprachenpolitik, gesehen an der Rue de la Commune. Alle Fotos: © Bopp

„Manchmal ist die Fremde hart“

Ummendorf – so weit und doch so nah. © Gemeindeverwaltung

Stimmt. Manchmal ist es schwer, in der Fremde zu sein. Der Satz in der Überschrift stammt von meinem Freund Frank. Er spielt dabei auf ein Dilemma an, mit dem ich mich jetzt immer häufiger auseinandersetzen muss: Nicht dabei sein zu können, wenn irgendwo gefeiert, gelacht, gegessen und getrunken wird. Oder getrauert. Wie jetzt beim Begräbnis meines Bruders in Ummendorf.

Kontinente, Ozeane, Arbeit, Abenteuer: Oft waren sie mir wichtiger als das, was sich in Ummendorf abspielte. Mein Leben ist in Kanada – und das schon seit fast einem halben Jahrhundert.

Lange Zeit spielten Entfernungen keine große Rolle. Ich war so oft in Deutschland, dass ich meine Geschwister vermutlich nicht weniger häufig gesehen habe, als wenn ich meinen Lebensmittelpunkt in München hätte – und nicht in Montreal.

Doch dann kamen Krankheiten und Alter. Plötzlich war es mit der Mobilität vorbei.

Ich bin meinem Bruder Wolfgang unendlich dankbar, dass er, obwohl auch schon jenseits der 80, die Verbindung zu meiner Familie und mir aufrechterhält.

Oder meine Cousine Margret, die nicht müde wird, mir von „dohoim“ zu berichten. Sie tut das in schönen Worten und wunderbaren Bildern.

Ummendorf ist weit – und manchmal doch so nah. Schön, dass uns das Internet virtuelle Brücken schenkt, über die man kurz mal gehen kann. Noch schöner, dass es Menschen gibt, die diese Brücken in Anspruch nehmen.

So wie Josef, mein früherer Nachbar, der mich über das Geschehen in Ummendorf informiert. Oder Johannes, der sich als Dorfhistoriker in meiner Heimatgemeinde besser auskennt als jeder andere. Oder Irmgard, eine Freundin aus Grundschulzeiten, die das Herz nicht nur am richtigen Fleck hat, sondern auch die Hand am Puls von Ummendorf. Oder Claudia, mit der ich auch die Schulbank gedrückt habe.

Ihnen allen gebührt heute mein Dank. Sie sorgen dafür, dass an Tagen wie diesen die Fremde nicht ganz so weh tut.