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Über Herbert Bopp

Deutscher Journalist bloggt aus Kanada. Lebt in Montréal, auf Mallorca und im Internet. Mag Kommentare am liebsten per Mail: bloghausmail@herbertbopp.com

Dunkel, kalt und ohne Wasser

Ein bisschen wie bei Spitzweg: Der arme Poet bloggt im Kerzenlicht.

„Man möchte schreien, man möchte toben“, fluchte ein früherer Zeitungskollege manchmal durch die Redaktionsräume. Einmal, so wird erzählt, soll er eine Schreibmaschine gegen die Wand geschmissen haben.

Das wird mir nicht passieren – nicht zuletzt, weil es in diesem Haus keine Schreibmaschine mehr gibt. Und weil mir, auch wenn ich allen Grund dazu hätte, nicht nach Schreien zumute ist, schreibe ich mir einfach den Frust von der Seele.

Einen vollen Tag, von morgens bis abends, ohne fließendes Wasser zu sein, ist lästig. Aber die Stadt war freundlich genug, die wohl dringenden Reparaturen am Wassersystem vor unserem Gebäude anzukündigen. Also blieb genug Zeit, sich vorzubereiten.

Am Vorabend einen Eimer mit Wasser zum Spülen, einen für die Handhygiene und noch einen für die Katzenwäsche füllen. Dazu ein paar Karaffen Wasser für Kaffee und Frühstückseier. Was braucht der Mensch mehr, um durch den Tag zu kommen?

Leider blieb es nicht beim Wassernotstand. Es fiel auch noch der Strom aus – so, als hätten sich Wasserwerke und Stromversorger abgesprochen. Vermutlich war bei den Arbeiten am Trinkwassersystem ein Kabel in Mitleidenschaft gezogen worden. Genaues weiß man nicht.

Strom ist bekanntlich nicht nur zum Kochen da, für den Kühlschrank, den Fernseher und die Beleuchtung. Weil Kanada zum Glück nicht auf Russen-Gas angewiesen ist, wird hier auch meistens mit Strom geheizt. Die Aussentemperatur beträgt im Moment minus 5 Grad Celsius, morgen soll der erste Schnee fallen. Noch Fragen?

Die Nachricht der Hausverwaltung klingt wenig verheißungsvoll: „Es ist damit zu rechnen, dass der Stromausfall bis zum Morgen anhält.“

Immerhin: Irgendwann tröpfelt es wieder aus dem Hahn, gefolgt von einem erst gelb-grünen, dann braunen und schließlich glasklaren Wasserstrahl. Verdursten werden wir nicht, und die längst fällige Dusche ist auch gerettet. Eigentlich. Denn ohne Strom kühlt der Boiler schnell ab. Dann also keine Dusche.

Fällt mir gerade ein: Im heutigen SPIEGEL wird ein Paartherapeut interviewt. Was er denn seinen Ratsuchenden so empfehle, wenn sich Mann und Frau partout nicht mehr näherkommen wollen, will die Reporterin wissen. „Duschen!“, sagt der Psychologe. Körperhygiene werde in der Paartherapie völlig unterschätzt.

Okay, anderes Thema.

Der Strom ist also weg, Kochen fällt flach, ausgehen kommt nicht infrage, denn der Aufzug vom 4. Stock funktioniert auch nicht, der Fernseher bleibt schwarz und das Internet ist tot. WLAN wird bekanntlich von Elektrizität gespeist – es sei denn, man greift auf sein Datenkontingent im Handy zurück. Genau das mache ich in diesem Moment. Wer braucht schon Wasser und Strom, wenn Kerzen und Handydaten im Überfluss vorhanden sind?

Doof nur: Der Saft im Handy nimmt mit jedem getippten Satz ab. Zwölf Prozent Akkuvolumen für eine ganze Nacht sind beunruhigend. Also dann mal tschüss.

Wir schreien nicht, und getobt wird nur ein bisschen still und leise. Versprochen: Der Laptop landet bestimmt nicht an der Wand. Vorerst.

Kanada entdeckt Mallorca

Nein, wir kommen nicht nach Mallorca, aber vermutlich Tausende Kanadier, die vom kommenden Jahr an von den Direktflügen zwischen Montreal und Palma profitieren werden. Und auf wen genau müssen sich die Mallorquiner da einstellen? Das Mallorca Magazin bat mich zu diesem Thema um einen Gastkommentar. (Zum Vergrößern bitte anklicken!)

Soraya wird’s richten – oder?

Soraya Martínez Ferrada  © CBC

Soraya Martínez Ferrada – mit so einem schönen Namen wird sie es hoffentlich auch schaffen, eine tolle Stadt wie Montreal noch toller zu machen. In der vergangenen Nacht wurde sie zur neuen Oberbürgermeisterin der Stadt meines Herzens (DSMH © Stefan M.) gewählt.

Zusammen mit ihrem Ensemble Montréal wird sie die nächsten vier Jahre die Geschicke Montreals übernehmen. Sie ist erst die zweite Frau im Rathaus und die erste mit lateinamerikanischen Wurzeln.

Soraya Martínez Ferrada wurde vor 53 Jahren in Santiago de Chile geboren. Als Achtjährige entkam sie zusammen mit ihren Eltern den Krallen des Militärregimes unter Augusto Pinochet und ließ sich in Montreal nieder.

Mit einem Master in Business in der Tasche ging sie schon früh in die Politik, zuerst als Stadträtin, zuletzt als Ministerin für Tourismus im Kabinett des liberalen Premierministers Justin Trudeau.

Tourismus-Ministerin dürfte in einer Regierung so ziemlich das Sahnestückchen unter allen Kabinettsposten sein: Reisen um die Welt, roter Teppich, Cocktails und Sternehotels. Wer würde so einen Posten freiwillig aufgeben? Genau: Soraya Martínez Ferrada.

Aber warum nur? Sie wolle frischen Wind nach Montreal bringen. 100 Tage will sie ihrem Ensemble Montréal geben, dann möchte sie die ersten Ergebnisse sehen: Sind wirklich all die in Montreal berüchtigten „Orange Cones“ notwendig – diese Straßenmarkierungen, die oft monatelang irgendwelche Baustellen absichern, an denen längst nicht mehr gebaut wird? Straßenreparaturen müssen sein, schon klar, aber müssen sie wirklich Monate, manchmal sogar Jahre dauern?

Den sozialen Wohnungsbau möchte sie antreiben, aber auch soziale Brennpunkte entschärfen. Vor allem aber will sie so schnell wie möglich das Thema Wohnsitzlose angehen. Inzwischen gibt es Tausende von ihnen. Sie campieren an Bahngleisen, an Autobahnauffahrten und in öffentlichen Parks, in Zelten, in Kartonhütten oder einfach unter freiem Himmel.

Mit ihrer Erfahrung im Bundeskabinett hofft Señora Martínez Ferrada, bei der Beschaffung öffentlicher Mittel zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit erfolgreicher zu sein als ihre Vorgängerin Valérie Plante.

Die verfolgte bei ihrer Wahl vor zwölf Jahren übrigens fast ein identisches Wahlprogramm wie Soraya Martínez Ferrada. Anfang des Jahres verkündete sie ihren Rücktritt. Grund: Amtsmüdigkeit und Erschöpfung.

Montrealer Rathaus: Frischer Wind durch Señora Soraya. © Bopp

Als Fußgänger „King of the Road“

Die wichtigste Erkenntnis unserer Reise in die westkanadische Prärie kommt zuletzt: Die Freundlichkeit der Menschen, die dort leben. Dass Kanadier generell ein liebenswertes Volk sind, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Was wir in den vergangenen Tagen in Manitoba an Freundlichkeit erlebt haben, ist noch einmal eine Klasse für sich.

Als Fußgänger bist du in Winnipeg King of the Road. Kaum setzt man den Fuß auf den ersten Balken des Zebrastreifens, quietschen bei den Autofahrern die Bremsen. Anders als etwa in Montreal, wo man sich als Fußgänger am besten mit Stahlhelm und Ritterrüstung in den Straßenverkehr wagt, wird man in Manitoba wie ein kostbarer Schatz auf zwei Beinen behandelt.

An Flughäfen zählt das Security-Personal in den meisten Ländern, die ich bereist habe, nicht unbedingt zu den größten Sympathieträgern. Anders in Winnipeg. Hier wurden wir mit so viel Herzlichkeit begrüßt, dass man fast schon Hintergedanken vermuten könnte: „Was will der Mensch von mir?“

„Wohin geht’s?“, will der Mann in Uniform an der Sicherheitsschranke wissen, während er uns abscannt. „Nach Montreal“, antworte ich. „Hab mal fünf Jahre in Winnipeg gelebt.“ Er: „Gut so! Nix wie weg von hier.“ Nicht gerade ein idealer Slogan fürs Fremdenverkehrsamt der Stadt Winnipeg, aber das ehrliche Bekenntnis eines jungen Kerls, der von der Prärie aus schon mal in eine richtige Großstadt wie Montreal schielt.

Dann die Szene am Abflug-Gate im Flughafen in Winnipeg: Fast 200 Passagiere warten darauf, den später bis auf den letzten Platz besetzten Airbus betreten zu können. Was macht der Air-Canada-Mann? Erblickt meinen Rollator, kommt auf mich zu und lässt uns wie VIP-Passagiere in die Kabine schreiten, damit wir als Erste unsere Plätze einnehmen können – Economy Class, nicht Business oder First.

Beim Besuch des beeindruckenden Winnipeger Kongresszentrums führte uns eine liebenswürdige junge Frau namens Suzanne in eine der Großküchen. Es war mein ausdrücklicher Wunsch gewesen, zu sehen, wie eine Hundertschaft an Köchen bis zu 8000 Mahlzeiten zubereitet. Stressiger Job. Und was macht die Chefköchin? Nimmt sich alle Zeit der Welt, uns im freundlichsten Manitoba-Englisch das Tagesmenü zu erklären.

Und dann natürlich unsere Gastgeberin Christa, deren Liebenswürdigkeit von jeher nicht zu überbieten ist. Ihre Freundinnen und Freunde, die Nachbarn, der Gärtner – sie alle strahlen eine ansteckende Herzlichkeit aus.

„Friendly Manitoba“ steht auf dem offiziellen Autokennzeichen dieser Provinz. Ausnahmsweise ist ein Slogan mal kein Klischee.

VIP-Feeling beim Boarding: Freundlichkeit ohne Grenzen.

Prärie: Himmel, Kunst und Korn

Der Himmel über der Prärie von Manitoba: grenzenlos, weit, leuchtend, still, majestätisch, friedlich, offen, überwältigend. Kein Berg, kein Wald, kein Gebäude. Nur Horizont, wohin das Auge reicht. Fast hätte ich vergessen, wie so ein Präriehimmel aussieht. Dabei habe ich in den 70er- und 80er-Jahren fünf Jahre hier gelebt.

Bei einer Fahrt über den Manitoba-Highway Nr. 59 ist mir heute Morgen wieder einmal klar geworden, wie weit wir hier vom Großstadtgetümmel in Montreal entfernt sind, wie riesig dieses Land Kanada ist, welche Gegensätze hier aufeinandertreffen.

Hier in Manitoba die gewaltige Natur, der Brotkorb, der Millionen Menschen das Getreide liefert. Dort die französischsprachige Metropole Montréal, die sich das “savoir vivre” auf die Fahne geschrieben hat. American Way of Life trifft auf frankokanadische Lebensart – das ist Kanada.

Doch nicht nur Natur wird uns auf dieser Reise geboten. Klaus, ein deutschkanadischer Freund, ehemaliger General Manager des Kongresszentrums in Winnipeg mit über 800 Angestellten, gab uns heute eine Führung durch dieses beeindruckende Gebäude.

Im Herzen des Convention Centre läuft eine Dauerausstellung mit indigener Kunst – gespendet von unserer Freundin Christa, bei der wir zurzeit zu Gast sind. Jedes Gemälde, jeder Stich, jede Schnitzerei hat eine Geschichte. Christa kennt diese Geschichten, wir durften sie heute erfahren.

Unser Kurztrip nach Manitoba ist eine Reise in eine andere Welt. Morgen geht es schon wieder zurück nach Québec. Diese Reise war als Test gedacht, ob ich, ob wir wieder reisefähig sind. Der Test ist geglückt. Kurzreisen sind wieder möglich.

Was für ein Glück, dass wir uns dazu entschlossen haben!

Klaus, ehemaliger General Manager des Kongresszentrums, mit Christa, großzügige Spenderin indigener Kunst.