Morgens an meiner kleinen Plaza

Mein Mallorca-Morgen beginnt um fünf, wenn die ersten Schritte durch die Carrer San Miguel hallen. Es sind kurze, hastige Schritte. Sie gehören einem Mann, dessen Namen ich nicht kenne. Ich weiss nur: Ohne diesen Mann wäre die Altstadt von Palma nicht das, was Hunderttausende von Touristen an ihr schätzen: aufgeräumt und blitzsauber. Zumindest noch in der ersten Tageshälfte.

Die Stadtreinigung macht gute Arbeit unter meiner Dachterrasse. Der Mann mit den hastigen Schritten leert einen Papierkorb nach dem anderen. Die vollen Mülltüten schleudert er schwungvoll aufs Trottoir. Umgehend wird der Abfalleimer mit frischen Plastiksäcken ausgelegt.

Viel angesammelt haben kann sich seit der Schließung der letzten Läden am IMG_4078Vorabend nicht. Hier eine Chipstüte, dort ein Beutel mit Hundekacke. Die eine oder andere Bierdose und ein paar Cortado-Becher. Mehr nicht.

Nach dem Mann mit den hastigen Schritten kommt auf leisen Gummisohlen ein kleines Elektro-Lastauto aus einer Seitengasse gekrochen. Fast lautlos parkt es vor meinem Fenster.

Nicht ganz so lautlos steigt ein kräftiger Mann im grünem Overall und Leuchtstreifen aus und knallt – jetzt schon richtig laut – die Fahrertür hinter sich zu. Es ist der Mülltüten-Abholer. Sicher ist sicher: Eimer-Kontrolle, die Zweite. Zeit für eine Zigarette. Und einen Schluck aus der Thermosflasche.

Inzwischen ist es kurz nach sechs und meine kleine Plaza ist jetzt schon ganz schön munter. Und ich bin es auch. Der Stadt beim Aufwachen zuzuschauen macht hungrig. Mit Stulle in der einen und Kaffee in der anderen Hand treibe ich den Voyeurismus auf die Spitze.

Eine Nachtschwester im bleichen Krankenhaus-Outfit verabschiedet sich mit müden Schritten in den Tag.

Einer mit Hippsterbart und Knopf im Ohr schwebt mit schlafwandlerischer Eleganz an den blühenden Alpenveilchen vorbei, denen tagsüber eine kleine Palme Schatten spendet.

Der Lieferwagen vor der Croissanterie an der Ecke bringt frisches Brot.

Eine Joggerin taucht – pretty in pink – aus dem Morgengrauen auf, nur um Sekunden später wieder darin zu verschwinden.

Ein Lkw-Kurier setzt dem Klamottenladen nebenan ein Dutzend Pakete vor die noch verschlossene Tür. Einfach so. Gottvertrauen ist alles, sagt sich wohl der mallorquinische Bote. Und fährt volles Risiko zum nächsten Shop. Er denkt nicht daran, das Autoradio leiser zu stellen. Immerhin ist es schon kurz nach sechs.

Jetzt ist der Eiscreme-Lieferant an der Reihe. Die Rollläden der Gelateria in unserem Haus werden mit lautem Getöse hochgekurbelt. Fünf Türen weiter hält ein kleiner Kühllaster. Männer tragen Iberico-Schinkenbeine auf den Schultern in den Laden. Wenig später werden dort köstliche Bocadillos verkauft.

Halb sieben. Irgendjemand hat die Straßenbeleuchtung aus- und den Tag angeknipst. Die Sonne reibt sich hinter der typisch mallorquinischen Häuserfront im Osten der Plaza die Augen. Amseln huschen über den Platz und auch die Schritte der Fußgänger verhallen jetzt nicht mehr in der Häuserschlucht der Carrer San Miguel. Die Dezibelzahl dürfte inzwischen auf 75 angeschwollen sein. Mindestens.

Über den Dächern von Palma geht jetzt die Sonne auf. Die Stadt ist erwacht. Und ich durfte ihr dabei zusehen.

4 Gedanken zu „Morgens an meiner kleinen Plaza

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