Freundlich ballern für die Freiheit

Sie bleiben mir fremd, meine Nachbarn im Süden. Auch nach 40 Jahren im kanadisch-amerikanischen Grenzgebiet verstehe ich Amerika noch immer nicht. Dabei habe ich fast alles davon gesehen und viele Menschen liebgewonnen.

Nirgends in der Welt wurde mir das vor Fett triefende Frühstück freundlicher serviert als in Kansas, Texas oder Montana. Und nirgendwo habe ich mich mehr über Menschen geärgert als in Wyoming, Nevada, Alaska, Hawaii oder all den anderen Bundesstaaten, in denen man das Gefühl bekommt, man befinde sich in „God’s Country“.

Mir fällt auch kaum ein anderes Land ein, auf das ich politisch so genervt reagiere, wenn ich mir in patriotischem Tenor wieder einmal anhören muss, wie wichtig doch „Freedom“ sei.

Aber welche Freiheit meinen die eigentlich genau? Die Freiheit, mit Waffen herumzuballern, die es im Baumarkt zu kaufen gibt, den ich neulich besucht habe? Er liegt kurz hinter der Grenze, im Bundesstaat New-York. Super freundliche Begrüßung, strahlendes Lächeln bei der Verabschiedung, obwohl sie kein Geschäft mit mir gemacht haben.

Keiner hinderte mich daran, die Pistolen zu fotografieren, die fett und breit in einer Vitrine auslagen. Darunter auch eine Waffe, die nicht nur Trumps Konterfei zeigt sondern auch eine eingravierte Kampfansage an den derzeitigen US-Präsidenten: „Let’s go, Brandon!“ ist eine im Internet verbreitete, aggressive Geheimbotschaft, die nichts anderes heißt als „Fuck you Biden!“

PATRIOTISMUS: Vogelhäuschen an der Ostküste.

Kaum eine Meile davon entfernt dann am Dorfrand ein unbemanntes Milchhäuschen, in dem sich jeder und jede selbst ein Fläschchen frisch aus dem Kuhstall nehmen kann. Ob er die Dollarnoten in die Kasse daneben steckt oder nicht, ist Ehrensache. Keiner kontrolliert.

Ich bin oft in den USA und neuerdings sogar im Besitz einer NEXUS-Karte. Die gewährt mir, nach einem mehr als ein Jahr währenden Sicherheits-Check, eine geschmeidige, unbürokratische Ein- und Ausreise am Express-Schalter der Grenze.

Auch wenn das Bild vor allem in Europa ein anderes sein mag: Die meisten Amerikaner machen es einem leicht, sie gern zu haben. Zum Beispiel die junge Hotdog-Verkäuferin in einem dieser „greasy spoon“-Restaurants am Highway. Sie habe das College abgeschlossen und liebe ihren Job, erzählt sie mir. Sie stehe jetzt schon seit acht Jahren hinter ein und demselben Tresen und würde nie etwas anderes machen wollen als zufriedenen Kunden Hotdogs servieren.

Vielleicht können wir ja noch etwas lernen von den Nachbarn im Süden. Einen Gang zurückschalten und mit weniger zufrieden zu sein, auch wenn draußen der Überfluss tobt – das habe ich jetzt verstanden.

Nur das mit der Freiheit und den Waffen in der Vitrine muss mir einer mal näher erklären.

HEIMATLIEBE: Gesehen in Maine.

4 Gedanken zu „Freundlich ballern für die Freiheit

  1. Die Amerikaner haben uns in der Nachkriegs Zeit, in Berliner Nachbarschaft -Heimen ,wertvolle Nachhilfe in Demokratie gegeben ! Ihr vermittelter Lebensstil war dazu auch sehr ansprechend ! Daraufhin bin ich In ihr Land gezogen und habe den größten Teil meines Lebens dort verbracht. Ja – und für den Berliner Knirps war es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ! No regrets ! Die Zeiten haben sich aber geändert. Eigentlich könnte man wohl erwarten, dass die Zivilisation durch ihre moralische und technische Entwicklung lernen würde, aber das scheint eher nicht der Fall zu sein. Der Daseinskampf ist offensichtlich die wichtigste Triebfeder der Evolution ! Die Weisheit des Menschen ( Anthroposophie ) scheint irgendwo abhandengekommen zu sein ! Wir leben tatsächlich in einer Zeitenwende. Solange die Trumpisten und Fox News ( kein News – aber ein Entertainment Network ) dort noch 30 % Zulauf haben, werden die Probleme nicht weniger. Demokratie versus Autokratie ! Da die Europäer aber, mehr oder weniger erfolgreich ,bereits 3000 Jahre dabei sind ; die Amerikaner aber erst 250 Jahre , gebe ich ihnen : „the benefit of the doubt“ -bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt – oder ? 🙏

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  2. Für mich ist und war dieser Waffen Irrsinn immer wie ein Parallel Universum. An der Westküste z.B. ist das wie ich finde nicht ganz so offensichtlich (außer eben dass man im Walmart Gewehre und Pistolen kaufen kann) – in Arizona hingegen sieht man ständig durchlöcherte Straßenschilder und Werbung auf denen damit geworben wird, dass man ganz legal mit einem MG rumballern darf.
    Irgendwie seltsam.

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  3. Lieber Herbert,
    Auch uns verbindet eine tiefe Hassliebe zu deinem südlichen Nachbarn. Diese Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Zuvorkommenheit, wo findet man dies in diesem Ausmass in Europa? Aber dann dieser zum Teil schon krankhafter Patriotismus, dass keine Kritik zulässt? God’s own country??? Diese Gewalt, auch von Polizisten gegenüber [schwarzen] Verdächtigen – die Polizei, dein Freund und Helfer?, die christlichen Fundamentalisten, die Trumpisten… wo ist die Generation der Flower-Power Bewegung nur geblieben?

    If you′re going to San Francisco
    Be sure to wear some flowers in your hair

    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Stefi (ivagabondi)

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  4. Die Menschen einzeln gesehen sind immer liebenswert, zuvorkommend und hilfsbereit und das Land ist so schön – den Rest, „die Freiheit, die sie meinen“, werden wir wohl nie verstehen,

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