Das Altern ist eine Zumutung

Loriot nannte in einem seiner letzten Interviews das Älterwerden „eine Zumutung“. Und Franz Beckenbauer wies im SPIEGEL die Schlagerweisheit „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ energisch zurück. Ich glaube, die meisten Menschen lügen, wenn sie von der „Gnade des Alterns“ reden. Ich finde Älterwerden unlustig und anstrengend.

Nehmen wir einfach mal den heutigen Tag. Oder noch besser: diesen Moment. Seit gestern bebt bei uns die Erde. Mein Nachbar Sylvain, eigentlich ein feiner Kerl, lässt seine Garageneinfahrt teeren. Das kann hier ziemlich aufwendig sein. Wir leben mitten in einem Waldgebiet, die Garageneinfahrten sind ziemlich lang, die Häuser auf sandigem Boden gebaut. Also muss ein ordentliches Fundament her. Leider sind dazu Baumaschinen notwendig, die einen Höllenlärm verursachen. Außerdem muss das Fundament gestampft werden. Das wiederum treibt die Richterskala auf gefühlte 9.2 hoch. Ein Glück, dass es bislang keine Toten gegeben hat. Aber es nervt.

Wie kann ich mich an meinem Nachbarn rächen?

Noch vor ein paar Jahren hätte ich so eine interessante Baustelle als Herausforderung gesehen. Wahrscheinlich wäre ich mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Bier in der Hand über die Straße marschiert, hätte mit dem Baupolier ein Schwätzchen gehalten und mir erklären lassen, warum Bitumen besser ist als Teer. Heute? Ich verfluche den Capo, wünsche den Baumaschinen ein kurzes Leben und überlege, wie ich mich an Sylvain rächen kann. Hätte er es nicht bei dem Kiesweg belassen können, der neureiche Angeber?

Autor als Lumberjack

Es gab Zeiten, da war der Toleranzpegel bei mir so hoch wie die Drehzahl eines Ferrarimotors. Aber seit einiger Zeit können mich immer mehr Dinge tierisch nerven: Knallblaue Plastiktonnen, die vom Nachbargrundstück zu uns herüber winken als wollten sie mir den Mittelfinger zeigen. Grillwürstchengestank, wenn ich gerade Erdbeerkuchen mit Sahne verspeise. Ganz besonders aber ärgern mich bellende Hunde und kreischende Kinder. Dabei mache ich den Hunden und Kindern ja gar keinen Vorwurf. Es sind die Hunde- und Kinds-Halter, die sich nicht an meine Spielregeln halten. Ist es denn zu viel verlangt, ein Baby in den Senkel zu stellen, weil es brüllt wie am Spieß? Und das schon ganze drei Minuten?

„Gnade des Alters“? Dass ich nicht lache!

Jemand, der für sich die „Gnade des Alterns“ gepachtet hat, reagiert jedenfalls anders. Aber wer kann schon von sich behaupten: Altwerden ist geil? Ich nicht. Und Jürgen Drews auch nicht. Sonst würde er nicht immer so einen auf berufsjugendlich machen. Beim WDR habe ich Herrn Drews mal auf eine „Hart-aber-fair“-Sendung angesprochen, in der er das Älterwerden als „total cool“ gehyped hatte. Beim Afterglow hörte sich das dann schon ehrlicher an: „Ja, soll ich denn“, meinte Jürgen Drews, „am Ballermann auf die Bühne gehen und schreien: Alt werden ist scheiße?“

Der Dalai Lama und ich haben ein Problem

Selbst der Dalai Lama hat wohl seine Probleme damit. Als ihn eine Kollegin auf sein Hobby ansprach – er sammelt und repariert Taschenuhren – und die Journalistin dann meinte: „Das macht ein geduldiger Mensch wie Sie bestimmt ganz toll“, konnte der Dalai Lama nur lächeln. Es könne schon mal passieren, sagte er, dass er so eine Taschenuhr nimmt und in die Ecke wirft, wenn nicht alles nach Plan geht. Schön, dass ich mich bei dieser Gelegenheit endlich mal in einem Atemzug mit dem Dalai Lama nennen darf: Mir passiert sowas nämlich auch immer öfter.

Und dann die Zipperlein! Als Lumberjack habe ich wohl auch ziemlich ausgedient. Dabei liebe ich nichts mehr als elegant-männlich die Axt zu schwingen und Feuerholz zu hacken. Das war gestern. Heute ist es mir einfach nur lästig – und auch ein bisschen zu teuer -, jedes Mal ein Wärmepad zu kaufen, wenn mal wieder die Glieder schmerzen. Also kaufen wir eben das Brennholz stapelweise.

Die Frau an meiner Seite: Schmerzresistent, belastbar, Raucherin

Lore ist da anders. Sie klettert wie ein Eichhörnchen aufs Hausdach und repariert den Schornstein, stapelt meterhoch Holz und repariert zwischendurch noch den Gartenzaun. Aber sie ist schließlich auch vier Jahre jünger als ich. Oder sind rauchende Frauen einfach generell schmerzresistenter und belastbarer als wir Männer?

Jedenfalls stehe ich zu dem, was schon an anderer Stelle im Blog gesagt wird: 1949 ist ein schwieriger Jahrgang. Zu jung, um alt zu sein. Zu alt, um jung zu sein. Erfahrung ist gut. Jugend ist besser. Wo ist Steve Jobs, wenn wir ihn brauchen? Er kann doch sonst alles. Warum nicht auch ein gelebtes Leben in einem jugendlichen Körper speichern?

Altern ist toll? Dass ich nicht lache. „Nichts als Augenwischerei“, meint Beckenbauer, der übrigens am Sonntag 66 wird. „Tatsache ist“, sagt der Franzl, „es zwickt hier, es zwickt da, alles tut weh. Dennoch versuche ich, jeden Tag zu genießen.“

Danke, mein Kaiser. Ich auch.