Wer schützt uns vor der Polizei?

Darf man das eigentlich sagen: Ich habe Angst vor der Polizei? So richtig stimmig klingt das ja nicht. Wenn ich es trotzdem so empfinde, hat das natürlich einen Grund: Gestern hat ein Polizist wieder einen Menschen erschossen. In einer Métro-Station in der Montréaler Innenstadt. Bei dem Opfer handelt es sich um einen Obdachlosen. Wieder einmal.

Der Tathergang ist im Moment noch schwammig. Offenbar war es so, dass der Beamte den obdachlosen Mann – warum auch immer – aufgefordert hatte, stehen zu bleiben. Als der Mann davon rannte, nahm der Polizist die Verfolgung auf. Der Beamte holte den Obdachlosen schließlich ein und stellte ihn zur Rede. Daraufhin soll der 34jährige Mann den Polizisten mit einem scharfen Gegenstand attackiert und erneut die Flucht ergriffen haben. Ein zweiter Beamter schoss daraufhin mindestens dreimal hinterher. Und verletzte den jungen Mann tödlich. Am hellichten Nachmittag in einer U-Bahn-Station in der Montréaler Innenstadt. Unbeteiligte suchten Schutz in einem Kiosk und versteckten sich. Vor der Polizei.

Das spätere Opfer, gefilmt von einer Überwachungskamera. Foto: CTV

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Mensch unter dramatischen Umständen von der Montréaler Polizei erschossen wurde. Auch im vergangenen Jahr mussten zwei völlig unbescholtene Männer auf diese Art sterben. Ein Penner wühlte im Abfall, ein Polizist fühlte sich bedroht und schoss. Nicht nur der Obdachlose starb. Auch ein völlig unbeteiligter Radfahrer wurde von einer Polizeikugel tödlich getroffen. Auch das Jahr zuvor gab es mindestens einen Toten. Und das Jahr vorher auch. Und so weiter. In den letzten zwölf Jahren sind allein in der Provinz Québec 72 Menschen von der Polizei schwer verletzt oder erschossen worden.

Was ist eigentlich aus dem „Freund und Helfer“ geworden?

Ich habe das Gefühl, in Montréal schießen Polizisten unüberlegter und schneller als anderswo. Im Englischen gibt es dafür einen treffenden Ausdruck: „Trigger happy“. Schießfreudig. Schützt uns eigentlich jemand vor der Polizei? Und überhaupt: Wo ist eigentlich die Polizei, dein Freund und Helfer geblieben?

Mich beschleicht beim Anblick von bewaffneten Politzisten in Montréal jedesmal ein mulmiges Gefühl. Das passiert mir nicht in Köln und auch nicht in Palma. Nicht einmal in New-York. Seltsamerweise nur hier, im sonst so friedlichen Montréal. Dabei habe ich noch nie eine richtig schlechte Erfahrung mit Polizisten gemacht. Sieht man einmal davon ab, dass eine Verkehrspolizistin bei einer Radarkontrolle unserem schlafenden Sohn, damals noch ein Baby, mit der Taschenlampe voll in die Augen leuchtete, das war einfach nur doof. Abgesehen davon beziehen sich meine Polizei-Ängste auf Berichte in den Medien.

Ich bin sicher, es gibt bestimmt total viele tüchtige Männer und Frauen in Uniform, denen die Sicherheit der Montréaler am Herzen liegt. Aber die Schießwütigen machen mir Angst.

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus

Was mich am meisten stört an dieser Geschichte: Ist dann mal wieder ein Unschuldiger durch Polizeikugeln zu Tode gekommen, wird untersucht auf Teufelkommraus. Aber nicht etwa von einer unabhängigen Untersuchungskommission. Sondern von einer anderen Polizeieinheit. Wenn also ein Montréaler Polizist einen Menschen erschießt, wird der Vorfall von der Québecer Provinzpolizei untersucht – und umgekehrt. Und da eine Krähe der anderen bekanntlich kein Auge aushackt, bleiben die Todesschüsse mit ganz wenigen Ausnahmen fast immer ungesühnt.

Das, so finde ich, ist der eigentliche Skandal.