Wenn ich auf Reisen bin, kann ich leider nicht täglich bloggen. Deshalb der Griff ins Archiv. Hier finden Sie von Zeit zu Zeit die Textversion meiner Hörfunk-Reportagen. Die Manuskripte wurden nicht aktualisiert!
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HALIFAX / NOVA SCOTIA
Die Tidenhübe in der Bay of Fundy sind weltberühmt. Zweimal am Tag füllt sich die Bucht mit über einhundert Millionen Tonnen Meerwasser, so viel, dass ein vierstöckiges Gebäudes darin versinken würde. Wenige Stunden später herrscht wieder Ebbe. Mit dem so geernteten Wasser wird in riesigen Turbinen Strom produziert.
Die Energie kommt den Bewohnern der kanadischen Provinz Neuschottland zugute. Doch seit Anfang der Woche ist Schluss damit. Ein verspielter Baby-Wal hat es geschafft, eines der größten Gezeitenkraftwerke der Welt lahm zu legen. Der sechs Meter lange Buckelwal war durch die geöffneten Schleusentore ins Hauptbecken geschwommen. Dort ist er auch geblieben, nachdem die Tore zur Wassergewinnung wieder geschlossen wurden. Kein Wunder, sagt ein Sprecher des Kraftwerks, denn dem jungen Meeressäuger geht es dort gut. Schließlich bedient er sich schon seit Tagen am kalten Büfett.
Vermutlich war der Buckelwal einem Herings-Schwarm hinterher geschwommen. Irgendwann landete er dann, hungrig wie er war, im Turbinenbecken. Dort gefällt es ihm so gut, dass er keinerlei Anstalten macht, wieder ins offene Meer hinaus zu schwimmen. Eine Fangaktion kommt nicht infrage. Die Verletzungsgefahr für den Buckelwal wäre zu groß. Also, sagt der Kraftwerk-Sprecher, habe man sich fürs Abschalten entschieden.
Der Baby-Wal ist inzwischen zur Touristen-Attraktion geworden. Dutzende von Schaulustigen drängen sich ständig um das Becken. Die Besatzungen von Fischkuttern, die sich zu nahe an das Gezeitenkraftwerk heran gewagt hatten, wurden aufgefordert, Kurs aufs offene Meer zu nehmen. Die Behörden befürchten, der Motorenlärm der Schiffe könnte den Wal irritieren und davon abhalten, die Bucht zu verlassen. Doch noch ist es nicht soweit – zur Freude der Wal-Touristen.
(Sendung vom 25-8-2004)