Wir sind (nicht) die Besten!

Mit Superlativen kennt sich die kanadische Regierung aus: Wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt, das beste Bildungswesen, die freundlichsten Menschen und die gesündeste Luft, die ein Mensch überhaupt irgendwo auf der Welt nur atmen kann. Und natürlich geht es uns allen bestens und wir ernähren uns so gut wie kein anderes Land der Welt. Bis auf die Sache mit der Freundlichkeit: Alles Humbug!

Zu Beginn meiner Kanada-Zeit konnte ich über diesen Superlativismus noch schmunzeln. Inzwischen ärgert mich diese lächerliche Hitparade nur noch. Weil sie meistens meilenweit von der Wirklichkeit entfernt ist und dazuhin zur Verdummung von Menschen beiträgt, die sich nicht die Mühe machen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Ein Griff in die Glücksschatulle.

Wenn doch alles palletti ist:

  • Warum gehen dann seit 13 Wochen Tag für Tag und Nacht für Nacht Tausende von Montrealer Studenten auf die Straße? Blockieren Brücken und Durchfahrtsstraßen? Stören Vorlesungen und hindern studierwillige KommilitonInnen daran, ihre Prüfungen zu schreiben?

ANTWORT: Weil sie gegen eine Erhöhung der Studiengebühren eintreten. In einem Land mit dem „besten Bildungssystem der Welt“ gibt es keinen Grund, auf die Straße zu gehen.

  • Warum sind die Notaufnahmestationen vieler Krankenhäuser hoffnungslos überfüllt, warten Krebspatienten oft monatelang bis zur ersten Chemotherapie und beträgt die Wartezeit für eine Darmspiegelung bis zu zwei Jahre?

ANTWORT: Weil das Gesundheitssystem krankt, weil Ärzte und Fachkräfte fehlen und Equipment und Krankenhäuser oft hoffnungslos veraltet sind.

  • Warum werden in der westkanadischen Provinz Alberta Millionen Tonnen Emissionen in die Luft geblasen, ohne dass jemand diesen Wahnsinn stoppt?

ANTWORT: Weil die kanadische Regierung die Exploration der dreckigen Ölsandfelder nicht etwa unterbindet, sondern alles tut, um sie in der Welt als die Rettung aller Energieprobleme schlechthin anzupreisen.

  • Warum sterben noch immer Menschen an den Spätfolgen des Asbest-Abbaus in der Provinz Quebec? Wo doch seit Jahrzehnten bekannt ist, dass Asbest ein Teufelszeug ist, das Menschen tötet?

ANTWORT: Weil die Provinzregierung von Quebec und die kanadische Bundesregierung Hand in Hand die Augen vor den Gefahren verschließen. Und, angeblich um ein paar hundert Arbeitsplätze zu erhalten, den Asbestabbau nicht etwa verbieten, sondern mit Millionenspritzen aus dem Staatshaushalt subventionieren.

Jetzt redet endlich mal einer Klartext: Der UN-Gesandte Olivier de Schutter, zuständig für das „Recht auf Lebensmittel“, ist gerade elf Tage durch Kanada gereist. Und kommt (laut Postmedia News) zu einem vernichtenden Urteil:

Kanada solle endlich aufhören, so selbstgerecht zu sein. Dafür, dass es so ein wohlhabendes Land sei, wüssten verdammt viele Menschen nicht, wie sie mit ihrem mageren Einkommen über die Runden kommen. Vor allem in den ärmeren Suburbs der Großstädte habe er Armut gesehen, die in einem Land wie Kanada nicht vorkommen dürfe. Besonders schlimm seien die Zustände in vielen Indianerreservaten. Deshalb müsse sich Kanada, eines der reichsten Länder der Welt, den Vorwurf gefallen lassen, viel zu wenig für seine nicht so betuchten Einwohner zu tun.

Starker Tobak. Nicht einfach so dahingeplappert. Die Vorwürfe des UN-Gesandten sollen durch nachgereichte Dokumente unterfüttert werden.

Wenn eine Regierung mit Vorwürfen dieser Größenordnung konfrontiert wird, hat sie drei Möglichkeiten:

  1. Sie taucht vor Scham ab („Wir sind dann mal Kanu fahren.“)
  2. Sie beweist Kritikern das Gegenteil („Alles Lug und Betrug, korrigiert das sofort, oder es gibt keinen Ahornsyrup mehr für euch Banausen!“)
  3. Sie gibt sich zerknirscht und gelobt Besserung. („Tschuldigung, Problem erkannt, Problem gebannt. Sobald wir von der Cottage zurück sind arbeiten wir daran.“)

Ottawa hat sich für die vierte Variante entschlossen. Und hört sich die Kritik des UN-Gesandten gleich gar nicht mal an. Man verbittet sich die Einmischung der Vereinten Nationen und sagt vorgeschlagene Meetings einfach ab. Kanada-Kritiker Olivier de Schutter bezeichnete die Reaktion der Bundesregierung laut Postmedia News „in meiner Laufbahn“ als „highly unusual“.

Na bitte! Wieder ein Rekord.