Bis vor kurzem war ich ein großer Fan von Straßenmusik. Ob Beatles oder Bowie, Dixie oder Dylan – keine Band war mir zu laut, kein Akkord zu schrill, kein Sänger zu schräg. Seitdem ich im Epizentrum der Touristenmetropole Palma lebe, hat sich mein Verhältnis zu Streetperformern dramatisch verschlechtert. Ich wünsche ihnen abwechslungsweise eine fette Erkältung an den Hals oder sechs gerissene Gitarrensaiten gleichzeitig. An manchen Tagen auch beides zusammen.
Die Straßenmusiker, die Tag für Tag vor meiner Wohnung auftreten, überbieten sich gegenseitig in der Dezibelzahl. Jegliches Taktgefühl scheint ihnen abhanden gekommen zu sein.

Der Autor als „Busker“ ca. 1964
Dass Streetperformer es eines Tages schaffen würden, mir meinen Alltag zu vermiesen, hätte ich nie für möglich gehalten. Schließlich war ich früher selbst einer von ihnen. Mit Banjo und Gitarre habe ich mich als Tramper durch halb Europa gespielt. Nur sorgte damals, wenn ich mich richtig erinnere, der Klangkörper eines Instruments für die Akustik und nicht ein Verstärker.
Straßenmusiker lassen sich nicht abschalten wie ein Radiogerät. Sie lassen sich auch nicht leiser stellen. Ihre Stimmen mögen noch so unstimmig sein – sie zählen auf die Gnade der Passanten, die auch dann noch einen Taler in den Hut werfen, wenn eigentlich eine Freiheitsstrafe angebracht wäre.
Nie zuvor habe ich einen Menschen mit einer solchen Hingabe so inbrünstig falsch singen hören wie den Gitarristen vor meinem Haus, der so etwas ähnliches wie Beatles-Songs zu spielen vorgibt. Erschwerend komme allerdings hinzu, bemerkte neulich die mitleidende Frau an meiner Seite, dass er leider rasend gut aussehe.
Die alternde Operndiva: Sie stammt aus Weißrussland, habe ich in der Zeitung gelesen. In ihrer Heimat habe sie große Erfolge feiern dürfen. Ach, hätte sie die Ovationen doch in Minsk ausgekostet! Aber irgendwann kam der Absturz und sie landete auf der Straße. Ausgerechnet in Palma. Ausgerechnet vor meiner Wohnung. Hebt sie zum „Ave Maria“ an, werden vor meinem Fenster massenweise Taschentücher gezückt. Tränen sind ein gutes Schmiermittel für den Geldbeutel, denkt sich die Diva. Also schmettert sie ein „Ave Maria“ nach dem anderen in die Menge.
Und dann die Frau in Schwarz, stets mit Hut und Sonnenbrille. Ihr Repertoire besteht aus genau fünf Liedern. Vier davon bringt sie kläglich zu Ende. Beim vierten – „Me and Bobby McGee“ – stößt sie regelmäßig an ihre Grenzen und hört mitten im Song auf. Janis Joplin würde sich im Grabe umdrehen, müsste sie dieser Kopiermaschine auf zwei Beinen zuhören.
Ob Reggae oder Funk, Blues oder Heavy Metal – sie können mir inzwischen alle gestohlen bleiben. Ihr minimalistisches Repertoire ist ausgelegt für einen stets in Bewegung befindlichen Touristenstrom. Ihre Stimmen laufen selten zur Hochform auf.
Nur wenige der Streetperformer vor meinem Haus könnten in meiner adoptierten Heimatstadt Montréal überleben. Dort ist die Konkurrenz unter „Buskern“ groß. Jeweils zu Saisonbeginn veranstaltet die Stadt Castings. Wer „Me and Bobby McGee“ nicht durchgehend singen kann, hat keine Chance auf eine Lizenz.
Am liebsten ist mir inzwischen der Chinese mit Strohhut vor meinem Fenster. Er lächelt zufrieden und malt Namensschilder aus fantasievoll aneinander gereihten Tierfiguren. Das Beste: Er gibt keinen Ton von sich.
Klappern gehört zum Handwerk. Hier noch zwei Streetperformer der besonderen Art.
@ Dorothee: Die 30-Minuten-Regel gibt’s hier auch. Aber wir sind in Spanien, da vergisst man solche Kleinigkeiten schon mal. Außerdem: Ich bin hier Gast und will ja nicht Blockwart spielen ;)
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Toll, lieber Herbert, ich fühlte mich in unsere Seminarräume auf der Hohen Straße versetzt. Damals hatten wir alle noch bessere Nerven trotz besseren Gehörs als heute.
Die Kölner haben es qua Stadtverwaltung nach vielen Klagen der Geschäftsleute hinbekommen: Dort dürfen Straßenmusiker nur 30 Minuten an einem Platz stehen, dann müssen sie 100 m weiter gehen. Das gab’s auf Papier. Das hat einer meiner Kollegen dieses Papier samt der dort enthaltenen Androhung von Geldbußen großzügig kopiert und nach 40 Minuten auf die Straße flattern lassen (aus dem 3. Stock).
So war wenigstens Abwechslung in der Musik gegeben.
Mein Satz hierzu: Als wir (Geige usw.) üben mußten, bekamen wir noch kein Geld dafür. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.
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Danke für diesen amüsanten Bericht, dessen Ursprung für Dich wohl alles andere als amüsant ist. ;)
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