Mein erster Gang wird mich heute an den Parc du Portugal führen. Dort, in der Nähe meiner Lieblings-Flaniermeile, dem Blvd. St.-Laurent, lebte Leonard Cohen. In der vergangenen Nacht ist der Held meiner Jugend im Alter von 82 Jahren verstorben. Wenn jemand stirbt, leben Erinnerungen auf. Hier sind einige davon:
Es gibt einen Kanadier, der in meinem Leben bereits eine wichtige Rolle spielte, noch ehe ich zum ersten Mal kanadischen Boden betreten hatte. Dieser Mann war nicht besonders groß, hatte keine ausnehmend schöne Stimme und spielte schlechter Gitarre als die meisten Gitarristen, die ich kenne. Dennoch gehörte Leonard Cohen zu den größten Stars seiner Zeit. Irgendwann stand der Held meiner späten Jugend dann neben mir. In einem Montréaler Waschsalon.
Mit Lenny im Waschsalon
Die Begegnung im Waschsalon ist kaum der Rede wert und grenzt, ehrlich gesagt, auch ein bisschen an Namedropping. Ich will die Geschichte aber trotzdem erzählen. Schließlich gibt es nicht viele berühmte Menschen, denen man zuschauen kann, wie sie Socken, Jeans und Unterhosen in die Wäschetrommel stecken, um ihnen anschließend im Trockner den Rest zu geben.
Als Cohen-Fan wusste ich natürlich, dass mein Lieblings-Troubadour im “Plateau” eine Wohnung hat. Diese Gegend entlang dem Boulevard Saint-Laurent galt schon damals als das Dichter-und-Denker-Viertel der Montréaler Bohème-Szene. Umso weniger hätte es mich überraschen dürfen, dass ich dem bedeutendsten aller Montréaler Bohèmiens dort auch begegnet bin. Ungewöhnlich war nur der Ort. Einen Menschen, der weltweit viele Millionen Schallplatten verkauft und ein Häuschen auf einer griechischen Insel besitzt, vermutet man nicht unbedingt zwischen Hemd und Hose im Waschsalon.
Als er dann so neben mir stand und von offensichtlich alten Bekannten mit “Hello Lenny!” begrüßt wurde, fiel mir fast das Herz in die Hose. Kaum 50 Zentimeter trennten mich jetzt von meinem Hero – und ich brachte nicht einmal den Mut auf, ihn anzusprechen. Stattdessen kämpfte ich mit einer aufgesetzten Lässigkeit gegen T-Shirts und Jeans, stets den Lady’s Man im Auge, von dem es schon damals hieß, seine Stimme schaffe es, selbst noch in der Kirche erotische Vibrationen zu erzeugen.
Wohl kaum ein Star seiner Zeit wurde häufiger kopiert und interpretiert als Leonard Cohen. Ob „Halleluja“, “Bird on the Wire”, “Famous Blue Raincoat” oder “So long Marianne” – die Welt hörte zu. “Suzanne” gibt es in 89 Versionen – darunter kroatische und koreanische Abwandlungen.
“Suzanne” gibt es wirklich. Sie ist, wie Cohen-Fans wissen, eine Ex-Geliebte seiner Majestät. Sie wohnte lange Zeit nur ein paar Straßen entfernt von Lenny. Später fuhr sie im Pickup-Truck durch Amerika und lebte wohl vor allem von ihrer Vergangenheit, die keine richtige Zukunft mehr hatte.
Mir ist Suzanne Verdal vor Jahren eher zufällig in Montreal begegnet, als sie vor ihrem Haus ihr Wohnmobil reisefertig machte. Eine freundliche Frau, so bescheiden in ihrer Anmutung, dass man den Eindruck gewinnen konnte, sie sei sich ihrer musikhistorischen Bedeutung nie so richtig bewusst geworden.
Mein Zahnarzt ging mit Lenny zur Schule
Leonard Cohen hat mich ein ganzes Leben lang begleitet, selbst zum Zahnarzt. Meine Lieblingsfrage an den inzwischen 82jährigen Zahnarzt meines Herzens lautete bisher immer: “Wie geht’s Lenny?” Die Antwort dauerte in der Regel fast so lange wie die komplette Zahnbehandlung. Denn über Lenny gab es schon immer viel zu erzählen.
Dr. F. ist mit Leonard Cohen aufgewachsen, zur Schule gegangen und ein Stück weit auch zur Uni. Doch während Dr. F sich nach den Vorlesungen meistens brav auf den Heimweg ins Villenviertel Westmount machte, ließ es Lenny gerne noch etwas krachen.
So gab es an der Avenue de la Montagne zu jener Zeit ein Underground-Café, in dem sich Poeten, Sänger, Maler und andere Bohèmiens nächtelang zu Lesungen, Bier und Mädels trafen, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Manchmal, ganz selten, sei Dr. F. mitgegangen, erzählte er mir mal. Aber das war nicht so richtig seine Welt.
Jetzt ist Leonard Cohen tot. Er war einer von denen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Ein Macho ohne Macho-Gehabe. Ein bekennender Frauenversteher, für den es – Gott sei gelobt – das Medium des Liedes gibt. Denn unter dem Deckmäntelchen der vertonten Poesie ließen sich seine oft lasziven Sprüche am besten ertragen. “Leonard Cohen”, sagte mir sein berühmter Landsmann Gordon Lightfoot vor Jahren in einem Interview, “ist der einzige Mann, der es schafft, den Frauen buchstäblich die Bluse vom Leib zu singen.”
Hallelujah!

Heute um die Mittagszeit: Trauer vor Cohens Haus in Montreal.

… und 2 Tage später. Fotos: Bopp
Zum Schluss noch zwei Facebook-Posts von Montrealer Freunden: