Manchmal gehen Wünsche ja doch in Erfüllung, wenn man brav ist: Meine Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl in Montreal hat gewonnen. Valérie Plante wird das erste weibliche Stadtoberhaupt in der Geschichte meiner Wahlheimat. Mit ihrer Charmeoffensive hat sie es geschafft, den bisherigen OB Denis Coderre aus dem Rennen zu werfen.
Dabei war Monsieur Coderre kein schlechter Oberbürgermeister. Er hat der Stadt einen Stempel aufgedrückt, den so schnell keiner mehr abwaschen kann. Manchen war dieser Stempel dann auch zu kostspielig und, sagen wir es ganz offen, zu großkotzig.
Warum eine Stadt wie Montreal mitten in einer riesigen Grünfläche noch dreieinhalb Millionen Dollar teure Baumstümpfe aus Marmor braucht, bleibt das Geheimnis der bisherigen Stadtverwaltung.
À propos Geheimnis: Davon hatte Denis Coderre wohl einige. So wollte er bis wenige Tage vor der Wahl partout nicht mit der Sprache herausrücken, wie viele bezahlte Tickets im vorigen Sommer für das erste Formel-Eins-Rennen für Elektroautos eigentlich verkauft wurden: Gerade mal 5.000. Verschenkt wurden dagegen mehr als 20.000. Es war ein blamables Zuschussgeschäft.
Das kam nicht gut an bei den Hunderttausenden Montrealern, die auf ihrem Weg zur Arbeit Tag für Tag ihre eigene Rennstrecke zu bewältigen haben. Die orangefarbenen Baustellenkegel sind zu einem Symbol für schlampige Koordination geworden – ein Thema, das den gesamten Wahlkampf beherrschte.

Titelseite der Montreal Gazette – Illustration © Aislin
Natürlich wird Valérie Plante alles anders, besser, preisgünstiger machen. Sagt sie. So ist eine neue U-Bahnstrecke vom Norden in den Südwesten der Stadt geplant. Dass die neue Métrolinie „Pink Line“ heißen soll, mag den Machos unter den Montrealern zwar nicht so richtig einleuchten. Aber nun denn, wenn sie in Rosa schneller in die Innenstadt kommen als in ihren Pickup-Trucks, dann soll’s auch recht sein.
Valérie Plante ist mit ihren 43 Jahren eine politische Newcomerin. Bislang war sie ausschließlich im sozialen Bereich tätig. Als Nachrückerin sitzt sie seit gerade mal elf Monaten im Stadtrat.
Aber schon bald gelang es ihr, die Menschen zu begeistern: Mit Tierschutz-Themen, mit Vorschlägen für mehr sozialen Wohnungsbau, mit Versprechungen, Wege für Fußgänger und Radfahrer sicherer zu machen. Und nicht zuletzt mit ihrem ansteckenden Lachen, das auch gestern wieder im Corona-Theatre bei mir um die Ecke zu hören war, wo sie mit ihrem Team „Projet Montréal“ ihren Erdrutschsieg feierte.
So ganz sicher war ich mir bis zum Schluss nicht, ob mir die Kombi aus Leistung, Anspruch und Lächeln genügt, mein Kreuzchen hinter ihren Namen zu machen. Noch vor wenigen Tagen konnte ich einem Videoreporter der Montreal Gazette keine klare Antwort auf die Frage geben, wem ich nun eigentlich meine Stimme geben würde.
Aber vor dem Hintergrund einer meist männlichen Politiker-Verdrossenheit geht man auch gerne mal ein Risiko ein. Deshalb also ist Valérie Plante „meine Oberbürgermeisterin“.
Ich hoffe, sie enttäuscht mich nicht.