Rentner sein ist ganz einfach: Abends glüht das Internet bis zum Sendeschluss. Morgens lässt du dich von den Mittagsnachrichten wecken. Und weil du ja jetzt jede Menge Zeit hast, checkst du stündlich deinen Kontostand, ob die Rente schon eingegangen ist. Ganz so toll ist es nicht. Aber mal ehrlich: Rentner zu sein, hat schon was.
Der Anfang war nicht leicht. Auch wenn es deine eigene Entscheidung war, erstmals nach 40 Jahren nicht mehr auf Reportage zu gehen, keine Live-Beiträge mehr fürs Radio anzubieten und auch keine Fortbildungsseminare für JournalistInnen mehr zu geben, fehlte etwas. Nicht nur Anerkennung, sondern auch die Motivation, morgens aufzustehen, denn der Wecker hat jetzt ja ausgedient.
Wer sein Korrespondenten-Dasein gelebt und geliebt hat, definiert sich zwangsläufig über seinen Job. Ist der weg, fehlt auch ein elementarer Teil deiner Daseins-Bestimmung.
Jetzt heißt es aufpassen! Plötzlich ruft nicht mehr fünfmal am Tag ein Sender an, um einen Hörfunkbeitrag über Bären, Indianer oder eine Unterwasser-Eishockeymannschaft in Manitoba abzurufen. Wenn das Handy klingelt, heißt die Ansage jetzt allenfalls: „Milch mitbringen!“ oder auch: „Treffen wir uns zum Lunch beim Thailänder?“
Dass du ein paar tolle Kollegen in dein Rentnerleben hinüberretten konntest, die inzwischen zu Freunden geworden sind, gehört zu den positiven Dingen, die so ein Abschied vom Job mit sich bringt.
Nicht mehr „gebraucht“ zu werden, ist der weniger schöne Teil. Findest du dann noch eine Kanada-Reportage in irgend einer Mediathek, die du – was sonst? – selbstverständlich mit Sicherheit zehnmal besser gemacht hättest als der Kollege, der jetzt dein Gebiet abdeckt, musst du ganz stark sein. [Ironie aus].
Die Erkenntnis, dass der Abschied vom Berufsleben gleichzeitig der Einstieg in ein neues, nicht weniger, aber eben anders schönes Leben ist, kommt schleichend. Ist sie dann bei dir angekommen, dauert es ein wenig, bis du dein Leben, 2. Teil, schmerzfrei, neidlos und ohne Negativ-Nostalgie genießen kannst. Das ist dann die schönste Phase des Rentnerdaseins.
Dabei muss „vor dem Urlaub“ nicht immer gleich „nach dem Urlaub“ sein. Allein die Tatsache, dass man könnte, wenn man wollte, schafft wunderbare Freiräume im Kopf. Die wiederum bringen Energie, Motivation und Lebensfreude mit sich.
Aber was macht eigentlich so ein Rentner den ganzen Tag? Kommt darauf an. Man hat mehr Zeit, miteinander zu reden und hört wieder mehr Bücher und Musik. Man liest Fachzeitschriften, Nachrichtenseiten und Medienblogs nur noch dann, wenn die Themen dich auch wirklich interessieren und nicht, weil man von dir verlangt, immer „ganz weit vorne“ zu sein.
Hin und wieder ist deine Stimme noch für eine Sprecherrolle gefragt. Oder – ganz selten – schickt dich die Agentin zu einem Casting für einen Film. Ansonsten: Nichts als Kür, so weit das Rentnerauge reicht.
Man plant spontan und nutzt bei Kurztrips die Stausituation auf der Stadtautobahn immer schön nervenschonend zu seinen Gunsten. Zeit ist ja jetzt fast immer da. Es sei denn, du musst dir von irgendeinem Amt, das 22 Bushaltestellen entfernt liegt, eine „Lebensbescheinigung“ für die Rentenbehörde ausstellen lassen.
Du triffst Freunde, die genau so wenig mit ihrer Zeit haushalten müssen wie du, denn viele von ihnen sind ja auch Rentner oder Freiberufler.
Oder du gehst zur Blutabnahme ins Krankenhaus, weil sich mal wieder ein Zipperlein eingestellt hat.
Achja, die Zipperlein! Mit meinem Freund Peter habe ich eine Abmachung: Jeder darf fünf Minuten über seine Krankheiten reden, dann ist Schluss.
Und manchmal schreibst du: Mails, Texte, Bücher. Nicht mehr, weil du unbedingt Geld verdienen musst, sondern ganz einfach, weil du dir und anderen damit eine Freude machen willst.
So wie jetzt.
Lieber Herbert, ich bin jetzt 70 und auch schon ein paar Jährchen im Unruhestand. Den Beruf brauch ich ab und zu. Es ist aber schön, dass ich noch arbeiten kann. Die Gesundheit ist relativ. Es ist immer wieder schön, nochmal von der „Schippe zu springen“.
Ich freu mich immer, wenn ich von meinem Kollegen aus den 70igern was hör oder les.
Liebe Grüsse Klaus
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Liebe Elgard im Elsass – Auch ich bedanke mich bei dir fuer diesen treffenden Kommentar. An den 22 Bushaltestellen soll mein Rentnerglueck nicht scheitern. Ich habe Zeit und auch die Gelassenheit, 22 Stationen zu ueberstehen. Ausserdem gibt es kaum eine bessere Plattform fuer Charakterstudien als voll besetzte Busse. Ich weiss nicht, wie es dir ergangen ist. Aber ich dachte frueher immer, wenn juengere Passagiere fuer einen aufstehen, um dir ihren Platz anzubieten, muesste man sich geehrt und geschaetzt fuehlen. Heute kommen mir solche gut gemeinten Gesten vor wie eine Bleidigung. Aha, man sieht mir also meine Gebrechlichkeit schon von weitem an! Oder so aehnlich.
Weiterhin gue Fahrt und eine schoene Rentnerzeit!
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Treffende Gedanken! Alles kann, nichts muss, außer dem ein oder anderen Arzttermin und selbstverständlich das Senden der Lebensbescheinigung…., sonst gibt’s kein Geld :-)
Ich schätze ab, in welchem Land wir uns Mitte Juni aufhalten, lade mir die Lebensbescheinigung mit der Alternativsprache des entsprechenden Landes im Internet runter, drucke sie aus und gehe Mitte Juni zu einem x-beliebigen Rathaus dieses Landes (dieses Jahr Alessandria/Italien) lasse bescheinigen, dass ich noch lebe, gehe zur nächsten Post und sende das Ganze per Einschreiben mit Rückschein an die Rentenstelle in Deutschland….. Klappt wunderbar und ich muss keine 22 Bushaltestellen durchstehen. In Spanien brauche ich das nicht, denn dort würde mein Ableben ja sofort der Gemeinde mitgeteilt werden…..
Aber Du hast recht: auch wenn man nicht gerade als Journalist unterwegs und gefragt war, läuft man zunächst mal wie Falschgeld rum……., aber das erledigt sich relativ rasch, monatelanges Mäandern können durch die Weltgeschichte tröstet schnell darüber hinweg, beruflich nicht mehr „gefragt“ zu sein.
Liebe Grüße aus dem Elsass, Elgard
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Stimmt. Langeweile kommt bei mir nicht auf. Im Gegenteil: Manchmal denke ich, der Tag muesste mehr als 24 Stunden haben, um alles zu erledigen, was man sich vorgenommen hat. Aber es gibt ja immer noch den naechsten Tag und den uebernaechsten – und hoffentlich auch noch den, der dann kommt. Danke fuer deinen Kommentar!
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Danke Dir, lieber XR, fuer deinen inspirierenden Kommentar. Ich muss sagen, dass du mich ganz oft im Leben motiviert und inspiriert hast – so auch zu diesem Beitrag. Du beherrscht die Kunst des Lebens wie nur wenige Menschen, die ich kenne. Deshalb bist du mein ganz persoenlicher Lebenskuenstler. Danke!
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Ruhestand: “STRESS GEHÖRT ZUM GUTEN LEBEN“
Das „Rentner – Dasein“ ist ja ein äußerst vielschichtiges Thema. Darüber hinaus von Kontinent zu Kontinent ganz unterschiedlich. Der beruflichen Hintergrund – ob selbstständig oder evtl. im Dienste des Staates gewesen?
Deine Feststellung, dass man ja könnte, wenn man wollte, was wiederum ganz viele positive Energien freisetzt, trifft doch den Nagel ziemlich genau auf den Kopf. Diese Maxime sollte man nach Möglichkeit das ganze Leben über anstreben. Dann kommen Lebensfreude, Energie und Motivation ganz von selbst. Etwas Struktur und eine Portion Stress sind aber auch unerlässliche Zutaten für den Rentner-Alltag. Wobe:i Den erwähnten Zipperlein mit zunehmendem Alter mindestens 10 Minuten zustehen, meine ich (fast 80J). Fitness, gesunde Ernährung und Bewegung sollten nicht zu kurz kommen. Wichtig! Siehe da , und schon hat man so viel Stress ,dass man ihn delegieren muss 😂 Wissenschaftliche Abhandlungen und Romane werden darüber geschrieben.
Es bleibt spannend.
Danke für diesen inspirierenden Beitrag !
XR..🏝
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Du scheinst dich ja nicht zu langweilen. 😉Finde ich super, wenn man mit seiner Zeit etwas anzufangen weiß. Weiter so!
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Grüße zurück, lieber Mario. Bei dir dauert’s ja noch eine Weile bis zum Leben, 2. Teil.
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Sehr schön. Dann mit vollen Segeln genießen :). Grüße aus Oakville, ON.
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