Abschlepp-Drama in der Wildnis

IMG_0912Wer im kanadischen Winter unachtsam ist, den bestraft das Leben. Eine bittere Erfahrung, die ich heute Abend machen musste. Was so schön mit einem Familien-Spaziergang über den zugefrorenen Lac Dufresne begonnen hatte, endete mit einem zähen Abschleppmanöver im Busch.

Nebel und gefrierender Regen sind der Kälte der letzten Tage gewichen. Statt blauem Himmel nichts als graue Suppe. Die spiegelglatte Eisschicht, die noch gestern den Lac Dufresne überzogen hatte, verwandelte sich über Nacht in eine Masse aus hart gebackenem Schnee. Winterwonderland ist anders.

Irgendwie müssen die im Blockhaus steif gewordenen Knochen ja bewegt werden. Dann eben ein Spaziergang über den See. Eineinhalb Kilometer lang, genau so breit. Umfang: 7 Kilometer. Die Strecke bis zur Bootsanlegestelle, an der unser Allwheeler geparkt ist, schafft man zu Fuß mühelos in weniger als einer halben Stunde.

Die Idee, dem Auto kurz Hallo zu sagen, war gut gemeint. Aber sie ging mächtig in die Hose. Was eigentlich eine kurze Runde werden sollte, um die Batterie geschmeidig zu halten, endet nur Zentimeter von einem Graben, hinter dem sich im Sommer ein schmaler, aber tiefer Bach auftut.

Schieben, drücken, Fußmatten unterlegen – es half nichts. Drei Leute, die ihr Leben in Kanada verbracht haben, kennen sich aus mit Winter. Heute nützt die zusammen mehr als hundertjährige Wintererfahrung der Drei Im Schnee genau: gar nichts.

Ein Glück, dass es den CAA-Automobilclub gibt. Ein Glück auch, dass es seit ein paar Jahren Handysignal am See gibt. Nicht jedes Abschlepp-Unternehmen fährt am Freitagabend in den Busch, um einen gestrandeten Allwheeler aus dem Graben zu ziehen.

„Eine Stunde. Höchstens!“, beruhigt mich der Mann vom CAA. Immerhin. Nach eineinhalb Stunden Warten im gestrandeten Wagen ein erneuter Anruf: Der Funkkontakt zum zuständigen Abschlepper sei abgerissen. Das Abschleppauto vom Monitor verschwunden. Verschollen. Nicht mehr auffindbar. Passiert schon mal im Busch, 16 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt.

Ein neuer Schlepper muss gefunden werden. Das dauert. Inzwischen sind fast drei Stunden vergangen. Der Rest der Familie ist längst wieder zurück ins Blockhaus spaziert. „Wenn das hier alles erledigt ist, wartet ein leckeres Essen auf dich“, versucht SIE, die gute Laune nicht einfrieren zu lassen.

Pierre kommt. Mit einem brandneuen Spielzeug-Abschlepptruck für Erwachsene. Warnlichter blinken. Gleissendes Scheinwerferlicht. Pierre kurbelt und stöhnt und macht und tut und schleppt. Und irgendwann hat der Profi den Amateur vom Eise befreit. Die bunten Lämpchen vom Spielzeuglaster verschwinden wieder im Nebel. Und ich: allein in der Wildnis.

In der Zwischenzeit ist es stockdunkel. Die Nebelschwaden legen sich wie dicke Stoffgardinen vor dein Gesicht. Keine Lichtquelle weit und breit. Die Konturen des Sees sind nur noch schwer auszumachen. Aber du musst da rauf.

Das Wasser unter der Schicht aus Eis und Schnee gibt unheimliche Gurgelgeräusche von sich. Oder rülpst der See? Nein, er furzt. Gänsehaut. Deine Fantasie läuft jetzt Amok. Hitchcock. Titanic. Bären. Wölfe. Räuber. Genau: Seeräuber!

Es gibt wilde Tiere in den dichten Wäldern, die den See umzingeln. Sie sind hungrig um diese Jahreszeit, fressen sich den Bauch voll für den Winterschlaf. Haben sie vielleicht Appetit auf einen fast 70jährigen Schwabokanadier? Heute nicht. Ein Glück, dass sie dich nicht riechen können. Nicht riechen wollen?

Stampfenden Schrittes geht es zurück in Richtung Blockhaus. Es ist spät geworden, aber SIE hat Wort gehalten.

Es gibt Linsen mit Spätzle.

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Ton an! So hört sich der Marsch über den zugefrorenen See an:

Der See beschwert sich: So hört es sich an

2 Gedanken zu „Abschlepp-Drama in der Wildnis

  1. Hallo,
    ja, Linsen mit Spätzle – meine Jugend-Leibspeise – hätte ich mit Saitenwürstle anreichern können, die wir vom Schifahren aus der Schweiz wieder heimbrachten, aber…
    Lieben Gruß
    Volker

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  2. Ach du heiliges Kanonenrohr. Ich glaube fasst ,du möchtest nur meine kanadischen Wintererlebnisse ,in meinem Gedächtnis auffrischen ! Ich bin vollauf begeistert ❄☃Personenschaden gab es keinen,das ist doch schon mal die halbe Miete . Ich sehe ,du hast auch ausreichend Bewegung bekommen, auf eine unvorher gesehene Art und Weise !
    Für eine Linsensuppe hätte ich so ein Spektakel allerdings dann auch mitgemacht.
    (Grüße an die Küche 🥰 )
    Eigentlich wart ihr ja ganz gut gewappnet. Sieht fast aus wie ein 4×4 von Volvo ? Kann mir vorstellen ,wie der die Fußmatten durchsegeln‘ lässt . Beim nächsten Mal evtl. ca. 1 atü aus jedem Reifen raus lassen . Reissig u. Zweige sammeln = Traction. Die Zuschaltung und Wahlnutzung der Allradfunktionen erfordert dann auch noch mal einige Übung!?
    ( auch beim konstant 4-wheeler )
    Der Typ mit der ‚Bubble Gum Machine’ auf dem Dach hat euer Auto entführt !? Gab es denn Hindernisse am Bachrand ? Hat die Lenkgeometrie ,der Kühler oder die Ölwanne evtl. etwas abbekommen , gelitten ?
    Ja ,eine volle Batterie ist immer so eine begehrenswerte Sache ! Wenn im Zweifel, dann lieber mal den Motor für 10 Minuten mit leicht angehobener Drehzahl (1500rpm)
    Trudeln lassen (das verlängert zwar nicht gerade die Lebensdauer des Motors ,aber …)

    Es gibt heutzutage übrigens Batterie Booster ! ( so groß wie ein Kosmetik Koffer ) ca.€90.- Den würde ich in euren Breitengraden immer mitführen ! ( So ähnlich wie dein ‚backup‘ für das iPhone . So kann man auch seinen gestrandeten Mitmenschen ,besonders in der Wintersaison, schnell aushelfen ! Dann ergeben sich daraus wieder Dutzende Begegnungen und Blog Einträge ,wie dieser ! Oder ? Ich sehe, du hast eurer Missgeschick, in eine positive Berichterstattung verwandelt ! Die stapfenden Schritte über den See waren deutlich zu vernehmen , und der Angstschweiß wehte bis hierher ! Well done !
    Nun hoffe ich ,dass die Werkstatt euer Gefährt bald wieder bereitstellt ! Nicht das ihr in der Wildnis zurückbleibt ! Auf einen “guten Rutsch” ins neue Jahr !!! (no pun intended ) XXXR..🏝

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