War da was? Ach ja, eine Woche ist wieder mal vorbei. Viel war nicht los: Vor allem schlechte Luft, die von den Waldbränden im Westen Kanadas herrührt. Ein Ausflug mit dem Schiff über den St.-Lorenz-Strom nach Boucherville. Eine Radtour zu den Stromschnellen im Stadtteil Lasalle – Surfer und Kanadagänse inklusive. Und eben noch ein Stadtspaziergang über den Blvd. St-Laurent. Dort findet seit heute das jährliche „Mural Festival“ statt. Von der Stadt lizenzierte Streetart-Künstler verzieren Wände und Hausfassaden. Zeitgleich gibt’s ein Straßenfest mit kulinarischen Köstlichkeiten aus aller Welt. Und zum guten Schluss noch ein japanisches Fest, genau bei uns um die Ecke. Sayonara 🇯🇵
„Peter Freudenthaler“ steht auf dem Handy-Display. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs und halte kurz inne. Moment mal – DER Peter Freudenthaler? Der Leadsänger von Lemon Tree, diesem Song, der mich schon mein halbes Erwachsenenleben begleitet? Genau der.
„Hallo Herbert“, sagt Peter. „Erzähl mir doch mal die Geschichte, als du Lemon Tree im australischen Outback gehört hast.“
Das Telefonat mit Peter Freudenthaler war heute. Die Geschichte mit Lemon Tree im australischen Outback vor ziemlich genau 30 Jahren. Sie geht so:
Ich war mit dem legendären GHAN-Train von Adelaide Richtung Alice Springs unterwegs. 24 Stunden durch die Wüste. Ursprünglich hatte ich wegen der langen Strecke ein First-Class-Ticket gebucht – doch dort herrschte gähnende Leere.
Also wechselte ich in den Speisewagen der dritten Klasse. Der hieß „Waltzing Matilda“ und war genau das, was ich suchte: schräg, schrill, bunt – und voller Geschichten.
Ein Aborigine saß auf dem Boden und spielte Lemon Tree auf dem Didgeridoo, neben ihm ein Typ mit Bongos. Um sie herum tanzten, klatschten, summten und sangen Menschen aus aller Welt – Backpacker, Goldgräber, Abenteurer, Geschäftsleute und auch ein Reporter aus Montreal, gebürtg aus Ummendorf.
Über Lemon Tree wusste ich damals nicht viel. Nur, dass es ein Song war mit dieser einzigartigen Leichtigkeit – ein Ohrwurm, der mich ein Leben lang begleiten sollte. So fröhlich, so friedlich, so freundlich. Und prickelnd wie eine frisch gepresste Zitrone.
Dass Lemon Tree von einer deutschen Band namens „Fool’s Garden“ stammte und der Sänger Peter Freudenthaler hieß, wurde mir erst später klar. Kurz vor dem Rückflug nach Kanada kaufte ich die CD am Flughafen in Sydney.
Einen CD-Player besitze ich längst nicht mehr – die Platte schon. Sie schlummert auf der Farm vor sich hin.
Aber wie kommt Peter Freudenthaler dazu, mich 30 Jahre später, an einem Donnerstagvormittag in Montreal, auf dem Handy anzurufen?
Diese Geschichte geht so:
Peter war Gast im genialen Podcast SWF3 – Das Phänomen, erfunden von meinem befreundeten Kollegen Gregor Glöckner. Seit Gregor mich im September als Kanada-Korrespondent für den Podcast interviewt hat, sind wir in Kontakt geblieben.
Als er seinen Podcast jetzt der Frage widmete, wie Lemon Tree auch dank SWF3 zum Welthit wurde, schrieb ich Gregor eine Mail. Darin erzählte ich ihm von meinem Hörerlebnis im GHAN-Train – und wie sehr mich Peters Podcast-Auftritt an diese Reise erinnerte.
Gregor tat, was gute Journalisten tun: Er nahm den Faden auf und spann ihn weiter. In diesem Fall landete der Ball bei Peter Freudenthaler in Pforzheim. Dort lebt der Lemon Tree-Erfinder noch immer.
Das Telefonat heute früh war ein virtueller Spaziergang in die Vergangenheit. Peter erzählte mir ein bisschen aus seinem Leben – und davon, dass er bald mit Fool’s Garden zusammen mit Bryan Adams in Hannover auftreten wird. Und er berichtete von einem Buch, das er geschrieben hat und das demnächst in Druck geht.
Peter Freudenthaler (Screenshot YouTube)
Ich erzählte ihm von meiner eigenen Rockn’Roll-Vergangenheit – und brachte ihn zum Lachen, als ich sagte, meine Band, The Outlaws, hätte sich in Oberschwaben zwar als „die härteste Rockband östlich von Liverpool“ einen gewissen Ruf erspielt. Zu einem Welthit wie Lemon Tree hat es allerdings nie gereicht.
Bei Peter Freudenthaler und Fool’s Garden schon. Insgesamt verkaufte die Band mehr als sechs Millionen Alben. In Kaliningrad spielte sie vor über 100.000 Menschen. In Asien waren die Leute verrückt nach Lemon Tree. Noch heute ist der Song in den vietnamesischen Charts.
Und bis heute tourt auch Peter Freudenthaler noch, zusammen mit dem Mitbegründer von Fool’s Garden, Peter Hinkel, und weiteren Bandmitgliedern. Zwar landeten die Jungs aus dem badischen Pforzheim keinen weiteren Welterfolg wie Lemon Tree, aber ein Dutzend Studioalben und zahlreiche Musikpreise sorgen dafür, dass ihre Geschichte weitergeht.
Demnächst sogar in Buchform. Mehr dazu später in den BLOGHAUSGESCHICHTEN.
Kardiologe mit Herz und Arktis-Erfahrung: Dr. Marc Paquet
Wenn Freunde gehen, geht auch ein Stück deiner Vergangenheit. Das wurde mir heute Nachmittag klar, als ich mich von meinem Freund Marc verabschiedete. Wir trafen uns ein letztes Mal im „Café Bicyclette“, einem Radler-Treffpunkt, an dem wir uns schon so oft verabredet hatten.
Marc zieht morgen nach Ottawa, „nicht aus der Welt“, wie man so sagt, nur zweieinhalb Autostunden von hier. Und doch wird meine Welt ohne Marc nie mehr das sein, was sie einmal war.
Marc – das ist Dr. Marc Paquet, Kinderkardiologe im Ruhestand. Ein Mann, der das Herz am rechten Fleck hat. Wie vielen Kindern er durch seine Eingriffe das Leben gerettet hat, werden wir nie erfahren. Aber eines weiß ich sicher: Marc muss ein großartiger Kinderarzt gewesen sein. Die Hingabe, mit der er noch heute über seine Arbeit spricht, lässt auf viel Liebe für seinen Beruf schließen.
Für mich war Marc nie der Kardiologe, der Kinderherzen heilt. Er war der Kumpel, der Leidenschaften mit mir teilt: Reisen in ferne Länder. Fahrradfahren. Und Storytelling. Beim Radeln konnte ich bis zum Schluss mithalten. Bei seinen Reise-Erzählungen musste ich passen.
Ich kenne niemanden – außer vielleicht meinen Piloten-Freund Jörg – der mehr gereist ist in seinem Leben als Marc. Er kennt die kältesten Ecken der kanadischen Arktis und die abgelegendsten Plätze im Jemen. Wenn er über Tokio spricht, glaubst du, du sitzt nicht auf irgendeiner Parkbank, sondern im IMAX-Kino. So bunt, so schrill, so exotisch. Plaudert er über Argentinien, möchtest du nur noch Tango tanzen.
Zuerst war es sein Beruf, der Dr. Marc Paquet als gefragten Kinderkardiologen in beratender Funktion in die Welt hinausführte. Später besuchte er viele dieser Orte erneut als Tourist. Und überall gab es Begegnungen mit Menschen – und Menschen mit Geschichten.
In Quebec City wurde Marc vor mehr als 80 Jahren geboren. In Montreal, so hatte ich gehofft, würde er sesshaft bleiben. Nachdem er hier bereits einen Großteil seiner Karriere als Kinderkardiologe verbracht hatte, zog es ihn in die Welt hinaus – und später doch wieder zurück nach Montreal. Für immer, wie ich geglaubt hatte. Ich sehe von meinem Fenster aus auf seinen Balkon auf der anderen Seite des Flusses.
Doch jetzt nehmen er und seine Frau Millie Abschied und ziehen nach Ottawa. Es sind persönliche Gründe, die für den Ortswechsel verantwortlich sind. Und natürlich wünschen Lore, Cassian und ich ihnen nur das Beste in der Bundeshauptstadt.
Unsere gemeinsamen Radtouren werden mir fehlen. Unsere Verschnaufpausen – es waren viel mehr als nötig – auf irgendwelchen Parkbänken, in Kneipen und Cafés sowieso.
Marc liebt es, Deutsch mit mir zu sprechen. Er konnte es noch aus seiner Zeiit, da er an einer Klinik in München praktizierte. Der Feinschliff fehlt, aber das Herz kennt keine Sprach- und Ländergrenzen. Ich musste ihm heute Nachmittag beim Abschied versprechen, auch künftig Textnachrichten auf Deutsch zu schicken. Ein guter Mediziner gibt eben nicht auf.
Ich bin meinem Freund Peter in Sherbrooke unendlich dankbar, dass er mir seinen Freund Marc vor vielen Jahren anlässlich einer Geburtstagsfeier in mein Leben gespült hat. Dass uns drei diese Männerfreundschaft nach so langer Zeit noch immer verbindet, ist ein Glücksfall. Und gibt mir Hoffnung, dass sie noch viele Jahre anhalten wird.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Kardiologe Dr. Marc immer wieder gern nach Montreal zurückkommt. Schließlich ist es die Stadt meines Herzens.
Freunde fürs Leben: Marc, Peter und ein Blogger namens Herbert.Abschied nehmen heute Nachmittag im Café Bicyclette.