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Über Herbert Bopp

Deutscher Journalist bloggt aus Kanada. Lebt in Montréal, auf Mallorca und im Internet. Mag Kommentare am liebsten per Mail: bloghausmail@herbertbopp.com

Ein Tag lang „Herr der Felder“

Wer Dennis Wallace in diesen Tagen bei der Arbeit sucht, muss sich zuerst durch dicke Staubschwaden kämpfen – schwere, gelbbraune Wolken, die den Farmer einlullen..Es ist Erntezeit in der Montérégie, dem landwirtschaftlichen Gebiet an der kanadisch-amerikanischen Grenze. Hier bewirtschaften Dennis und Kathy Wallace ihre Farm. Cassians Gehöft liegt in unmittelbarer Nachbarschaft.

Heute waren die Sojabohnen an der Reihe. „Mäßige Ernte“, grummelt Dennis hinter dem Lenkrad seines Mähdreschers, einer Art Feldfabrik auf Rädern. Mit der linken Hand steuert er das Lenkrad, mit der rechten den Joystick.

Es piept, hupt, pfeift und vibriert. Gerät der Mähdrescher aus der Spur, wird nachjustiert. Schiebt sich ein Erdhügel unter die gigantische Maschine, ertönt ein Warnsignal. So viel Technik ist störanfällig – und Reparaturen kosten nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Davon können Farmer wie Dennis in diesen Tagen nicht genug haben.

Die nicht enden wollende Trockenheit ist schuld daran, dass weniger Sojabohnen geerntet werden als sonst. Was für die einen der Traumsommer ’25 war, ist für Farmer wie Dennis eine Saison mit viel Luft nach oben.

Ein Glück, dass die Wallaces breit aufgestellt sind. Neben Soja bauen sie Mais, Weizen, Roggen und grüne Bohnen an – insgesamt auf 530 Hektar Ackerland. Dazu kommen 165 Hektar Wald – auch für kanadische Verhältnisse beeindruckende Zahlen.

An Tagen wie diesem läuft alles wie ein Uhrwerk. Der Maschinenpark ist gepflegt, jede Schraube sitzt, jedes Zahnrad ist gefettet. Die Erntehelfer, darunter Kathy, Dennis’ Frau, und sein Bruder, der nebenbei Schafe hält – arbeiten Hand in Hand, jeder Griff sitzt wie eingeübt.

Der Mähdrescher selbst wirkt wie ein technisches Wunder. Vorn schneiden die rotierenden Messerreihen das Getreide, im Bauch der Maschine werden die Bohnen aus den Schoten gelöst. Durch das lange Überladerohr schießt das Erntegut in den neben der Maschine fahrenden Anhänger. Der Rest der Sojapflanzen landet kleingehäckselt als Dünger auf dem Acker.

Ist der Korntank dann gefüllt, setzt sich der Tross in Bewegung, rollt zu den Silos auf dem Farmgelände. Dort werden die Bohnen computergesteuert bis zur Perfektion getrocknet, ehe die Händler sie in riesigen Lastwagen abholen.

Doch es ist nicht nur die Ernte selbst, die Geschick verlangt. Auch der Weg von Feld zu Feld will geplant sein. Wenn die riesigen Maschinen über die Landstraßen ziehen, gehört die Fahrbahn ihnen allein. Vorbeifahren? Unmöglich. Die Anwohner der Farmen kennen das ungeschriebene Gesetz, das zur Erntezeit gilt: Der Farmer hat Vorfahrt. Immer!

Ein paar Stunden im Cockpit des Mähdreschers – diesem millionenschweren Koloss aus Stahl und Glas – und der Moloch Montreal, kaum eine Dreiviertelstunde nördlich, ist plötzlich ganz weit weg. Er versinkt hinter Staubschleiern, dem Dröhnen der Motoren und der heißen Spätsommersonne.

Was bleibt, sind die Weite, die Felder, das Surren der scharfen Messer, das Flimmern in der Luft und das Gefühl, einmal etwas ganz Besonderes zu sein: Herr der Felder.

Erinnerungen an Jane Goodall

Jane Goodall (1934 – 2025) Archiv-Foto

Es ist schon sehr lange her – 26 Jahre, um genau zu sein –, da kam ich auf die Idee, meinen journalistischen Bauchladen um ein Medium zu erweitern, das ich bis dahin noch nicht bedient hatte: Filme machen. Gleich in meinem allerersten Film stand eine Frau im Mittelpunkt, die heute im Alter von 91 Jahren gestorben ist: Jane Goodall, die legendäre Schimpansenforscherin.

Das Thema, das ich mir für diesen ARD-Beitrag ausgesucht hatte, war spannend, aber düster zugleich. Es ging um ein Altersheim für HIV-infizierte Schimpansen, die ein kanadisches Ehepaar aus medizinischen Versuchsanstalten in den USA befreit hatte. Dort sollten die Tiere zu Tode getestet werden.

Die kanadischen Aktivisten – ein Tierarzt und seine Frau – hatten das getan, was als „petnapping“ bekannt wurde: eigentlich strafbar, aber nicht nur unter Tierfreunden begeistert gefeiert.

Ich reiste mit einem kleinen Kamerateam an die kanadisch-amerikanische Grenze, unweit von Lacolle – dort, wo Cassian heute seine Farm hat. Was uns erwartete, war ein eigentlich schöner Anblick, aber auch ein tieftrauriger.

Schön, weil die Tiere in blitzsauberen, freundlichen und geräumigen Käfigen untergebracht waren, wo sie viel Liebe erfahren durften. Traurig, weil klar war, dass die fünfzehn Schimpansen nicht mehr lange zu leben hatten. Die beiden Aktivisten hatten sich vorgenommen, den Tieren einen möglichst schönen Lebensabend zu bereiten.

Manche von ihnen waren nicht nur mit HIV infiziert worden, sondern auch mit anderen Krankheiten, die zum sicheren Tod führten. Getestet worden waren die Schimpansen in Labors unter anderem für die Kosmetikindustrie.

Um den Film vom Boulevard-Niveau abzugrenzen, dem so ein Thema leicht zugeordnet werden könnte, hatte ich mir als seriöse Komponente eine Begegnung mit der bekanntesten Schimpansenforscherin der Welt vorgestellt. Kaum zu glauben, dass Dr. Jane Goodall auf meinen Anruf in London hin spontan zusagte, mir für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen.

Bis zu dem Interview mussten wir uns allerdings gedulden. Dr. Goodall wollte den Besuch im Schimpansen-Seniorenheim mit einer Lesung in Toronto verbinden, so dass sie nicht eigens nach Kanada reisen musste.

Für uns war das kein Problem. Schließlich gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Abnehmer für meinen ersten Film – ich hatte ihn auf eigenes Risiko vorfinanziert und produziert.

Das alles musste Jane Goodall ja nicht wissen. Wir hatten innerhalb des Aufnahmeteams vereinbart, den Ball flach zu halten. Die offizielle Version lautete: „This is going to be a film for German television“. Und genau so war es schließlich.

Mit einem Minivan holten wir Jane Goodall in ihrem Hotel in Montreal ab. Die Fahrt zu der Farm der beiden Aktivisten dauerte etwa eine Stunde – genug Zeit also, um mit der Forscherin aus London warm zu werden. Ihre bescheidene Herzlichkeit beeindruckte mich sofort. Und: Sie  konnte zupacken!

Auf der Farm der beiden Tierschützer angekommen, zögerte Madame Goodall nicht lange, die Regie meines Filmes mehr oder weniger selbst in die Hand zu nehmen. Es war ihre Idee, in einen der Käfige zu steigen, um mir von dort aus ein Interview zu geben. Weil die Affen alle an Krankheiten litten, die leicht durch Körperflüssigkeiten übertragen werden konnten, blieb ich draußen und hielt Jane Goodall das Mikrofon durch das Gitter hindurch vor ihr Gesicht.

Es waren denkwürdige, bange Minuten für uns als Team, bis die Szene abgedreht war. Aber Madame Goodall behielt bis zur letzten Frage eine Ruhe, die mich tief beeindruckt hat.

Dass ich den Film nach der Fertigstellung tatsächlich an die ARD verkaufen konnte, hatte – davon bin ich überzeugt – mit Sicherheit auch damit zu tun, dass die Protagonistin meiner ersten Doku eine weltberühmte Schimpansenforscherin war.

So gesehen war Jane Goodall die wichtigste Initiatorin meiner überschaubaren Karriere als Filmemacher. Einige weitere Filme sollten folgen – sie liefen alle im deutschen Fernsehen –, doch mein Herz gehörte dem Radio. Für den Rundfunk habe ich bis zum Schluss meiner aktiven Reporter-Laufbahn noch viele tausend Beiträge gemacht.

Eine Kopie des Films mit Jane Goodall hatte ich auf VHS gespeichert. Bei einem meiner zahlreichen Umzüge muss die Kassette verschwunden sein. YouTube und andere Video-Plattformen gab es zu dieser Zeit noch nicht, also ist er auch online nicht zu finden.

Beim Stöbern in meinem bescheidenen Archiv bin ich auf ein Arbeitsmanuskript gestoßen, das ein paar Drehbuch-Passagen aus dem späteren Film enthält.

Hier ist es als PDF in einer unfertigen Rohfassung:

Bilderbuch-Herbst und viel Musik

Ein Sommerherbst in Montreal. Tagsüber heiß, nachts angenehm kühl. Das Laub verfärbt sich langsam – wie hier am Alten Hafen, wo der Sankt-Lorenz-Strom zur Spielwiese wird.

Nach und nach finden auch die weißen Riesen wieder ihren Weg nach Montreal: Kreuzfahrtschiffe mit bis zu zweieinhalbtausend Passagieren, die sich von Montreal aus auf den Weg zur Küste Neuenglands machen oder den St.-Lorenz-Strom hinunter nach Québec City, Tadoussac und bis nach Halifax.

Wer an Land bleibt, wird belohnt: mit einer Open-Air-Veranstaltung am Lachine-Kanal, wo Lieder und Gedichte zum Besten gegeben wurden. Bei einem Besuch im Gartenrestaurant des früheren „Hotel Nelson“ am Place Jacques-Cartier. Mit einer Kajak-Parade in Griffintown, einer chinesischen Oper auf einem ruhigen Plätzchen zwischen den Restaurants von Chinatown, einer Verschnaufpause am „Philips Square“ im Stadtzentrum. Oder bei Kaffee und Brioche im gepflegten Café „Aux Merveilleux de Fred“ an der Rue St. Denis. Oder einem Spaziergang entlang der Nationalen Theaterschule am Boulevard St. Laurent.

Oder mit panierten Schnitzeln und schwäbischem Kartoffelsalat à la Lore.

Stellenanzeige an einem Laternenpfosten in Chinatown. „Leichte Arbeit auch für ungelernte Kraft“

Vom Geben und Nehmen

“Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.” So steht es in der Bibel, genauer im Buch Hiob 1,21. Wie jetzt, plötzlich Bibelkenner? Keine Bange: Sowas weiß ChatGPT. Was meine KI-App allerdings nicht wissen kann, ist der irdische Anlass, der mich auf diesen Bibelspruch bringt. Von Anfang an:

Wenn der Fernseher nach nicht einmal sechs Jahren seinen Geist aufgibt, ist das zwar ärgerlich, aber heutzutage wohl keine Seltenheit mehr. Also muss ein neuer her.

Wenn der Sohn Geburtstag hat und die Eltern traditionsgemäß den Jubilar samt Freundin ins feine Steak-Restaurant ausführen, dann ist uns das zwar jedes Mal eine große Freude – aber sparen auf Schwäbisch geht anders.

Wenn beides am selben Tag passiert, Fernsehkauf und Geburtstagsfeier, kommt die Kreditkarte schon mal ins Schwitzen.

Und hier kommt nun der Bibelspruch ins Spiel: Der Herr meinte es diesmal ausgesprochen gut mit uns.

Denn just nach dem Fernsehkauf wartet ein Schreiben unseres Stromanbieters im Briefkasten. Der Tonfall erinnert verdächtig an die Mails des nigerianischen Prinzen, der arglosen Empfängern Glück und Reichtum verspricht (“Sie haben 14 Millionen gewonnen. Bitte teilen Sie uns Ihre Bankverbindung mit, damit wir den Betrag überweisen können.”) Oder so ähnlich.

Doch diesmal ist es kein Prinz, sondern Hydro Québec, unser Stromversorger. Und statt 14 Millionen nigerianischen gibt es eine Gutschrift über 2.000 kanadische Dollar. Ganz offiziell, ganz seriös.

Was war geschehen?

Unsere letzte Wohnung hing jahrelang am falschen Zähler. Wir hatten ohne unser Wissen die Stromrechnung des Nachbarn bezahlt. Der gehörte offenbar, anders als wir, nicht zu den Stromsparern. Wie konnten wir es wissen? Schließlich hatten wir keine Vergleichszahlen.

Vermutlich wäre der Irrtum nie aufgeflogen, hätte der Stromanbieter nicht selbst eine Untersuchung angestellt. Die Folge: Wir wurden für den zu viel berechneten Stromverbrauch entschädigt.

Dabei ist Weihnachten doch erst in drei Monaten.

Landleben: Wenn Farmer feiern

Gleich zwei Events gab es an diesem Wochenende im näheren Umkreis von Cassians Farm: die “Havelock Country Fair” und ein jährliches Treffen, das sich “Wool Gathering” nennt.

Die “Country Fair” in dem Dorf Havelock gibt es seit über 150 Jahren. Dort treffen sich neben einheimischen Farmern auch Besucher aus der Umgebung, um sich über landwirtschaftliche Entwicklungen zu informieren.

Auch das “Wool Gathering” findet auf einem Farmgelände statt. In der Nähe der Gemeinde Hemmingford wird dort vorwiegend Kunsthandwerk angeboten, das jedes Jahr von Bewohnern der näheren Umgebung hergestellt wird.

Ein paar Fotos von den beiden Ereignissen gibt es in der Bildergalerie. Wie immer: bitte zum Vergrößern draufklicken.