Meine Freunde, die Indianer

Der kanadische Indianer: Er ist rot. Er ist stark. Er ist stolz. Und blitzgefährlich. Falsch. Die meisten Indianer, die ich kenne, sind weder rothäutig noch besonders stark, allenfalls korpulent. Stolz: Vielleicht. Blitzgefährlich: Bestimmt nicht. Und wieder stirbt ein Klischee am Marterpfahl der Geschichte.

Meine erste Begegnung mit einem Indianer fand in der Druckerei einer Zeitung in Winnipeg/Manitoba statt, für die ich damals arbeitete. Jimmy Mah hatte an einem druckfreien Tag auf dem Lehmboden ein Lagerfeuer gemacht und eine frisch geschossene Ente gegrillt. Als Karl-May-Leser dachte ich immer, dass alle Indianer auf dem Pferd daher geritten kämen und bei der Begrüßung „Hugh, Weißer Bruder!“ sagten. Jimmy sagte einfach „Hi“.

Spätestens seit dieser skurillen Begegnung mit Jimmy Mah hatte ich ein Herz für Indianer. Und auch für Metis und Inuit, die ich erst später kennen lernte. Inuit hießen übrigens damals noch Eskimos. Das bedeutet „Rohfleischfresser“ und gilt heute als politisch inkorrekt.

"Tobacco Road" in Kanesatake

Indianer gehören inzwischen zu meinem Alltag. Auf der gegenüberliegenden Seeseite von uns liegt das Reservat Kanesatake. Dort leben etwa 1700 Mohawk-Indianer. Sie haben eine eigene Radiostation, eine eigene Zeitung und eine Polizeieinheit, die Mohawk Peace Keepers. Vor allem aber haben sie einen sehr ausgeprägten Geschäftssinn. Sie verkaufen preisgünstige Zigaretten, die „Natives“ oder „American Blend“ heißen. Zollfrei und steuerfrei – ein Status, der ihnen vom Gesetz her zusteht.

Genau genommen dürfen Ureinwohner zoll- und steuerfreie Produkte nur an andere Ureinwohner verkaufen. Doch in den Buden entlang der Hauptstraße von Kanesatake sind die meisten Kunden Weiße aus der Umgebung. Mehr als zwei Dutzend solcher Holzhütten stehen an der Landstraße, die hier „Tobacco Road“ heißt. Dort blinken schrille Neonlichter wie im Rotlichtviertel. Aus meterlangen Plastikrohren qualmt es wie aus überdimensionalen Zigaretten. Und die Polizei schweigt.

Mohawk-Aufstand 1990

Die Peace Keepers der Mohawks werden einen Teufel tun, sich in das illegale Geschehen einzumischen. Und die Québecker Polizei ist ein wenig ratlos im Umgang mit den Tabakhändlern. Hin und wieder wird mal ein Strafzettel verteilt. An weiße Kunden. Nicht an indianische Verkäufer.

Im Sommer 1990 ging es in Kanesatake heiß her. Wir waren ziemlich neu hier. Bei Tag und Nacht flogen Militärhubschrauber über unser Haus. In Kanesatake waren Unruhen ausgebrochen. Die benachbarte – weiße – Gemeinde Oka wollte ihren Golfplatz erweitern. Die Löcher sollten auf Indianer-Land liegen. Das ließen sich die Mohawk nicht gefallen und verteidigten ihren Grund und Boden.

Ein Indianer griff zur Waffe und erschoss einen Polizisten. Seither gelten die Indianer wieder bei manchen Kanadiern als gefährlich. Dabei haben sie lediglich ihr Hausrecht wahrgenommen. Leider mit tödlichem Ausgang.