Die ganze Stadt eine Baustelle

Jeder Punkt eine Baustelle. Bildrechte" Vill de Montréal

Jeder Punkt eine Baustelle. © Ville de Montréal

Plötzlich war unsere Ausfahrt weg. Die Rampe, die den Stadtteil St. Henri mit der Stadtautobahn verbindet, lag in Schutt und Asche. Verschwunden. Von einem Tag auf den anderen. Ärgerlich? Schon. Aber wir sind nicht allein. Ganz Montreal gleicht zurzeit einer riesigen Baustelle.

Nie zuvor in der Geschichte der Stadt wurde so viel gebuddelt wie in diesem Jahr. Fast 200 Kilometer Straßen werden geteert, 80 Kilometer Wasserleitungen erneuert. Dutzende von Brücken, Zufahrtsrampen und Betonpfeiler werden abgerissen und wieder aufgebaut. Allein in diesem Jahr investiert die Stadtverwaltung an gut 400 Baustellen eine halbe Milliarde Dollar.

Die Folge ist ein Verkehrschaos ohnegleichen. Die Nerven der Bus- und Taxifahrer liegen blank. Der Chauffeur des 77ers, der vor unserem Haus hält, hatte mich glatt übersehen. Nach einer Vollbremsung 20 Meter nach der Haltestelle entschuldigte sich der gute Mann: „Die vielen Bau- und Umleitungsschilder machen mich noch wahnsinnig“.

Dass ausgerechnet in diesem Jahr so viel gebuddelt wird, hängt nur bedingt mit dem bevorstehenden 375. Geburtstag der Stadt zusammen. Natürlich will sich Montreal von seiner besten Seite zeigen, wenn Prominenz aus aller Welt zu Besuch kommt.

Der wahre Grund, warum so viel gebaut, aufgerissen und repariert wird, liegt irgendwo anders. Die Wasserleitungen wurden vor hundert Jahren fast gleichzeitig gelegt. Und geben naturgemäß fast zur gleichen Zeit den Geist auf. Hätte man Leitungen und Straßen sukzessive auf Vordermann gebracht und nicht auf den Totalkollaps gewartet, wäre das Chaos möglicherweise ausgeblieben.

Vielleicht aber auch nicht. So ein bisschen Chaos gehörte schon immer zu meiner Stadt. Man denke nur an die Eröffnung der Olympischen Spiele vor genau 40 Jahren. Damals musste Königin Elizabeth über den Schlamm getragen werden, weil die Zufahrtswege zu den Olympia-Anlagen noch nicht fertig waren. Und das Kevlar-Dach des Olympiastadions wurde erst 22 Jahre nach Ende der Spiele installiert.

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Eine von 400: Baustelle Ecke Rue St. Jacques/Rose de Lima. © Bopp

Gebuddelt wird nicht nur in der Erde. Auch der Hochbau boomt. © Bopp

Gebuddelt wird nicht nur in der Erde. Auch der Hochbau boomt. © Bopp

3 Gedanken zu „Die ganze Stadt eine Baustelle

  1. Die ganzen Baustellen sind uns schon im vergangenen Jahr aufgefallen. Ein Navi ist da aufgeschmissen und selbst die Einheimischen wussten nicht mehr weiter. Wir waren einige Male ziemlich… lost.

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  2. Bonn tauscht auch gerade „alle“ Leitungen aus und repariert die Brücken. Wir sind dankbar nächste Woche am Mittwoch aus der Stadt raus in Richtung Hamburg/Sylt unterwegs, denn für 9 Tage wird eine der drei Haupt-Autobahn-Brücken über den Rhein (Nordbrücke) einfach mal so geschlossen, damit die Bauarbeiter beim Reparieren nicht dank der Schwingungen in den Rhein plumpsen. Zugleich wird schon seit einem Monat eine wesentliche Stadtteil-Brücke, die jetzt als innerstädtischer Ausweg gelten könnte, einspurig geführt. Stau programmiert. Die Nord-Süd-Achse, also die B 9, ist ebenfalls Baustelle.
    Da die öffentliche Nahverkehr hier wenig Chance hat und Bus an Bus im Stau steht, fahren kluge Menschen mit dem eigenen Auto auf den „Geheimstrecken“, auf denen der Verkehr wenigstens nicht zusammenbricht, aber deutlich gemächlicher voran kommt als üblich. Dank Lebensurlaub habe ich mit den Rush-hours wenig zu tun, es hat durchaus Vorteile, Rentnerin zu sein.
    Danke schön für den fröhlichen Bericht. Auch das zeichnet die Montrealer/Kanadier sicher vor den Deutschen aus: akzeptieren, wenig meckern und darüber lachen, während hier die aggressiven FahrerInnen ihre Rechtschutzversicherung prüfen, ob sie Chancen der Verteidigung haben, wenn sie mal wieder im Hauptabendverkehr durch unsinnigen und unübersichtlichen Spurenwechsel für einen zusätzlichen Halb-Stunden-Stau sorgen, während die Polizei kopfschüttelnd den Unfall aufnimmt.

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  3. Hallo Herbert,
    ohne Auto-Navigerät wäre ich nachts manchmal in Montréal verloren gewesen, zumal die Umleitungsverkehrszeichen nicht immer an den entscheidenden Stellen aufgestellt waren, ja hin und wieder einfach fehlten.
    C’est la vie actuelle à Montréal
    Volker

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