Irgendwie werde ich aus den Amerikanern nicht schlau. Da stehst du irgendwo in Maine an der Kasse eines Supermarkts und wirst von der Person hinter dir fast gekreuzigt, weil du eine Schachtel Zigaretten gekauft hast.
„Du rauchst“?, will die Frau von mir wissen, als die Kassiererin gerade die Packung „American Spirit“ einscannt. „Nein, die sind für jemand anders“. „Oh, you must really hate that person“. Im Weggehen verrate ich ihr, dass das Gegenteil der Fall sei und ich „that person“ alles andere als hasse: Die Kippen sind für meine Frau.
Kinnladenklappen.
Kinnladenklappen auch darüber: Während Zigarettenschachteln im Rest der Welt mit Horrorfotos von verschrumpelten Föten, einäugigen Gesichtern, angefressenen Lippen und schwarzen Lungen verunstaltet werden, bleibt die Packung zumindest hier in Maine clean. Hier darf der „American Spirit“ noch das sein, was er einmal war: sauber, frei, unverdorben. NATURAL.
Wenig später biegst du aus dem Parkplatz in die Landstraße ein und stellst wieder einmal verwundert fest: All die Harley-Fahrer hier dürfen zwar mit ihren ungedämpften Auspuffen einen Heidenkrach veranstalten. Aber Helmpflicht? Nein, Danke!
Da werden Schnaps, Wein und Bier in jedem Supermarkt angepriesen und verkauft, als gelte es der Prohibition noch nachträglich einen Streich zu spielen. Aber im Restaurant verlangt der Kellner vom Sohn den Ausweis.
Alkohol dürfe er an Personen unter 21 leider nicht ausschenken, sagt Jason, der sich – wie die meisten Kellner hier – namentlich vorstellt, ehe er die Bestellung aufnimmt. Hallo? Der Sohn wird demnächst Dreißig. „Jeder, der bis zu 35 aussieht, muss kontrolliert werden“.
Okay, wenn das sooo ist …
Dass der Strand rauchfrei bleibt und Alkohol nur in ausgewiesenen Zonen konsumiert werden darf, versteht sich angesichts dieser Sünden-Politik von selbst. Und auch dass Oben-Ohne hier einem Spießrutenlauf gleichkommen würde.
Dann aber wieder: So viele liebenswerte, freundliche, hilfsbereite Menschen wie hier habe ich selten erlebt. Ob es lediglich das berühmte Kratzen an der Oberfläche ist, gespielte Höflichkeit also, oder aber ernst gemeinte Sympathie, sei dahingestellt. Es fühlt sich jedenfalls gut an.
Noch besser fühlt es sich an zu wissen, dass die Trump-Wahl hier bei vielen Menschen als Ausrutscher abgehakt wird, als Mückenschiss der Geschichte.
Dass aber die Hälfte dieser netten Menschen einen Mückenschiss gewählt hat, macht mir trotzdem Angst.
Amerika, Land der unbegrenzten Gegensätze.
Amerika wie es leibt und leibt :)
Und trotzdem: Schön isses.
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Sehr treffend beschrieben.
Da musste ich gleich wieder an diese Episode denken:
Kauf mal im Supermarkt ein Sixpack Bier und stelle dich an einer Kasse an, an der ein/e 18-20-Jährige/r tätig ist.
Wenn das Sixpack auf dem Laufband für den Scanvorgang dran ist, ruft er/sie einmal laut „ALCOHOL!!!“ quer durch den Markt, alle warten gespannt bis ein/e ältere/r Mitarbeiter/in herbeieilt, das Sixpack über den Scanner zieht und sich dann wieder trollt…
;) #truestory
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Genieße Deinen USA-Urlaub, Herbert. Und Maine sowieso. Da möchte ich auch noch hin, am besten mal im Indian Summer. Trotz des irritierenden Wahlergebnisses kann ich auch nur von guten privaten oder geschäftlichen Begegnungen mit AmerikanerInnen berichten. Das gibt mir die Hoffnung, dass dies nur ein „Glitch“ in der Geschichte sein wird.
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Hallo Herbert,
besser kann man die USA nicht beschreiben:
„Amerika, Land der unbegrenzten Gegensätze“
Ich habe das zig-mal in den USA gefühlt und erlebt, besinne mich hauptsächlich auf sehr menschlich angenehme Begegnungen.
Volker
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