Leidend liegt der geschundene Herr Jesus in einem Bett von Lilienblättern unterm Ladentisch. Wie mit letzter Kraft hält er noch eine Visitenkarte in der linken Hand – so, als wolle er sagen: „Schaut her, Jüngerinnen und Jünger, hier gibt’s was zu kaufen!“
Zu kaufen gibt’s bei Kitsch’nSwell jede Menge. Die Heiligenfigur selbst ist allerdings unverkäuflich. Da ist Boutiqen-Besitzerin Karine Gauthier eigen.

Karine ist in den Siebzigern geboren, aber ihr Herz schlägt für die Fifties. Ob Samthüte oder Perlmutt-Aschenbecher, bunte Glasketten, ausgestopfte Tiere oder Kirschmund-Broschen – ihr Retro-Laden am Montrealer Boulevard St. Laurent ist wie ein Museum, nur lustiger.
Und die Museums-Leiterin, sprich: Boutiquen-Besitzerin, ist das Coolste, Abgedrehteste, Schrägste, das mir seit langer Zeit begegnet ist. Ein, zwei vergnügliche Stunden mit diesem bunten Vogel zu verbringen ist wie Kino.

Wer in einer Hippsterstadt wie Montréal auffallen möchte, muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. Als Kitsch’nSwell vor ein paar Jahren zu verkaufen war, schlug Karine Gauthier zu. Dabei hatte sie als Taxidermistin zwar Erfahrung mit ausgestopften Wildtieren. Aber ein Geschäft hatte sie bis dahin noch nie geleitet. Gleich gar nicht so einen abgedrehten Laden wie diesen.

In die Wiege gelegt worden ist Karine Gauthier der Hang zum Schrägen allerdings nicht. Sie stammt aus der tiefsten Provinz. Die Saguenay-Region liegt 600 Kilometer nordöstlich von Montréal und ist vor allem durch seine Walbeobachtungs-Touren auf dem St. Lorenz-Strom bekannt.
Vor der Blockhütte im Busch, wo sie aufgewachsen ist, sagen sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht, sondern auch Bären, Elche und Wölfe. Das mit der Taxidermie habe sich einfach so ergeben, sagt Karine. Tiere – lebendige und tote – gab es in der Wildnis schließlich en masse.
Von verrückten Sachen habe sie schon als Kind geträumt, erzählte mir Karine heute Nachmittag. Klamotten, Spielzeuge, Designerkram, Lampen. Dass sie mit Mitte vierzig allerdings einen Straßenkreuzer fährt und regelmäßig zu der größten Retro-Kitsch-Messe der Welt nach Las Vegas reist, war ihr nun wirklich nicht in die Wiege gelegt worden.
Ganz selten bekommt Karine Besuch von ihrer Mutter, die noch immer in der Wildnis lebt. „Sie findet mich ziemlich crazy“. Aber wie das halt so mit Müttern ist, man nimmt die Kinder wie sie sind.
Nur das mit dem Jesus Christus in der Glasvitrine unterm Ladentisch gefalle ihr gar nicht.

Das Sortiment von Kitsch’nSwell finden Sie >> hier im Online-Shop << Von dort aus sind auch die INSTAGRAM– und FACEBOOK-Accounts mit Fotos und Videos zu erreichen.
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