Pilgern bis zum Umfallen

img_2389-1

JAKOBSWEG, Tag 2 – 28 Kilometer von Uterga nach Estella

FÜR NORBERT

Von heute an widmen wir jeden Tag unserer Pilgerreise einem Menschen, der uns viel bedeutet hat, aber nicht mehr unter uns weilt.

Es ist spät in Estella und ich könnte einen Roman darüber schreiben, was wir heute alles erlebt, gesehen und ja, auch erlitten haben.

Fangen wir mit dem aktuellen Stand an. Es geht uns wunderbar und wir können auch heute unser Glück kaum fassen. Was für eine grandiose Idee, den Jakobsweg zu wandern! In meinen 70 Jahren habe ich ähnliches noch nicht erlebt. Und wir sind erst am Beginn unseres Abenteuers.

Diesen Blogpost tippe ich im unteren Bett einer zweistöckigen Schlafstätte. Um mich herum haben sich etwa 15 andere Pilgerinnen und Pilger zur Ruhe gelegt. Gleich geht im Schlafsaal das Licht aus. Das war’s dann für heute.

An meine letzte Nacht in einer Jugendherberge kann ich mich nur noch schwach erinnern. Ich glaube, es war vor 55 Jahren.

Möglich, dass es bei diesem einen Mal in einem christlichen Pilgerhostel bleiben wird. Der Mangel an Privatsphäre ist gewöhnungsbedürftig. Aber wir hatten keine andere Wahl, als uns in dieser Herberge nieder zu lassen.

Die Wandersaison hat noch nicht richtig begonnen. Viele Dörfer, durch die wir heute gewandert sind, verfügen entweder über gar keine Gasthöfe. Oder aber die Pensionen und Bed&Breakfasts sind noch geschlossen. Also blieb uns heute nur diese „Albuerga“.

Damit ist nichts verkehrt, sie ist sauber und die Männer und Frauen, die hier absteigen, sind durchweg freundlich, ja geradezu liebevoll im Umgang miteinander. Aber mit 70 an der Dusche Schlange zu stehen – oder erst recht am Klo – muss nicht sein. Als Grenzerfahrung ist so ein Lifestyle auf Zeit jedoch unbezahlbar.

Dass wir fast 28 Kilometer gewandert sind und dabei viele, viele Höhenmeter zurück gelegt haben, lag eben am Mangel an Übernachtungsmöglichkeiten. So kam ein Dorf nach dem andern hinzu, Bis wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit keine andere Wahl hatten, als mit einer liebenswerten, aber etwas hilflosen südkoreanischen Comic-Zeichnerin im Schlepptau das freundliche Mitfahrangebot eines einheimischen Autofahrers anzunehmen, der offenbar ein Herz für Pilger hat.

Nach kaum zehn Minuten lieferte uns diese gute Seele vor dieser Herberge in Estella ab und ersparte uns dadurch zusätzliche zehn Kilometer Wandern, das uns an diesem brütend heißen Samstag unter der spanischen Sonne möglicherweise an unsere Grenzen gebracht hätte.

Die Landschaft, durch die wir heute gewandert sind, kann streckenweise nur als grandios bezeichnet werden. Die Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, werden sich mir als faszinierende Momentaufnahmen für immer einprägen.

Ein junger Japaner, eine Mexikanerin, zwei Pilger aus Südkorea, eine Irin, ein Junge aus Québec und auch ein Schwabe – sie alle haben ihre eigenen Geschichten. Sie zu erzählen würde nach diesem Gewaltakt von Tag meine Kondition sprengen. Vielleicht ein andermal.

Deshalb soll für heute genug sein. Bleib mir gewogen, liebe Blog-Community. Ich freue mich total, dass ihr uns in so großer Zahl virtuell begleitet.

Gute Nacht aus Estella und Buen Camino!

08930E21-E72E-421A-B683-3D88F1B036D2.jpeg

BF0E1FD4-B65A-4C6F-A01F-5A0B485A6C5C.jpeg

5 Gedanken zu „Pilgern bis zum Umfallen

  1. Dankeschön! Freut mich sehr, dass dir unser kleines digitales Tagebuch gefällt. Danke auch für den Museumstipp. Dafür ist es leider zu spät. Bin schon auf dem Weg nach Mallorca!

    Like

  2. Hallo Lore,
    Hallo Herbert,
    Habe euren Blog von Rolf ( Mallorca) und lese seit Tagen mit großer Begeisterung sämtliche Kapitel eurer Pilgerreise vom letzten Jahr und auch die der aktuellen Reise. Wenn ihr noch immer in Málaga seid, wäre vielleicht ein interessanter Tipp die Klimt-Ausstellung. Ich lebe zwar in Marbella, schau sie mir aber auf alle Fälle an. Als Österreicherin ohnehin „ Plicht” 😉
    Weiterhin viele tolle Erlebnisse und ich freu mich schon auf lustige, interessante und schöne Beiträge UND FOTOS ! Ganz großes Kompliment!
    Herzliche Grüße Barbara

    Gefällt 1 Person

  3. Schön, dass ich Euch von zuhause aus begleiten darf. Ich genieße es in vollen Zügen. Immer mehr davon. Und: ich bewundere Euch, aber das habe ich ja schon oft genug gesagt.

    Like

  4. Ich freue mich, euch auf eurer Reise auf diesem Weg begleiten zu können und freue mich schon sehr auf die weiteren Geschichten! Euch eine gute Reise! Liebe Grüße aus dem Allgäu! Dominik

    Like

  5. Danke, lieber Herbert, für diese bunte Schilderung Eurer Höhen und Tiefen! Da Gemeinschaftsgefühl in den Herbergen, die sich laut allen Schilderungen immer durch Großschlafsäle, -Duschen und -toiletten auszeichnen, kann tragen durch den möglichen Austausch ebensolcher Höhen und Tiefen, aber und gerde in unserem Alter auch nur nerven. Dies soll in privaten Pilgerherbergen einfacher sein. Allerdings müssen die wg. der Siesta bis 13 Uhr gebucht sein. Ihr müßtet also morgens entscheiden, in welchem Ort Ihr schlafen wollt. Vielleicht klappt das besser, wenn Ihr die tägliche Marschroute für die kleinen Orte ohne Hotels auf 15 km begrenzt und es so leichter bei der Qusrtierfindung habt.
    Das Wichtigste, das Erlebnis der Natur und die Begegnung mit den Menschen, das klappt ja schon exzellent. Den „Rest“ kriegt Ihr auch gebacken. Ich war heute nur 5000 Schritt unterwegs, leide mit Euch und freue mich, daß Du mich teilhaben läßt. Danke.

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..