JAKOBSWEG, Tag 20 – 23 Kilometer von Mansilla de las Mulas nach León
FÜR ANTON
Wir widmen jeden Tag unserer Pilgerreise Menschen, die uns viel bedeutet haben, aber nicht mehr unter uns weilen.
Wir sind in León angekommen! Auf der Landkarte könnte man meinen, es sei nur noch ein Klacks bis nach Santiago de Compostela. In Wirklichkeit sind es immer noch um die 300 Kilometer. Aber wir kommen mit Riesenschritten voran.
Das Schöne ist: Wir haben keine Eile. Im Gegenteil. Manchmal fragt einer von uns beim Wandern: „Was machen wir eigentlich, wenn wir in Santiago angekommen sind?“
Wir beide wissen, dass wir uns diesen Tag nicht wirklich herbeisehnen. Von mir aus könnte dieses einzigartige Abenteuer immer weitergehen.
Aber warten wir’s ab. Noch trennen uns Wochen, ehe wir am Ziel sind.
Auch wenn wir heute schon wieder Rotkäppchen spielen und unsere knallroten Regenponchos anziehen mussten, war es ein schöner Tag.
Und wieder einmal hatten wir unverschämtes Glück mit unserem Hostel. Es liegt in einer hübschen Gasse, mitten in der pittoresken Altstadt von León.
Von unserem kleinen Balkon aus sehen wir auf die traumhaft schöne Kathedrale. Die werden wir uns noch näher anschauen, sobald unsere müden Knochen etwas Ruhe hatten.
Gegenüber von uns liegt eine kleine Tapas-Bar. Ich denke, wir werden dort später zu Abend essen.
A propos essen. Gleich zweimal sind wir heute beschenkt worden. Einmal von einer pausbäckigen Bäckersfrau in einem Dorf ohne Namen. Der wollte ich ein Brot abkaufen, das sie gerade frisch aus der Backstube in den kleinen Laden trug.
Ob es das Brot wohl auch kleiner gebe?, will ich wissen.
„Kein Problem“, sagt die Frau, nimmt ein Messer und schneidet das riesige Baguette genau in der Hälfte durch.
Ich: „Was macht’s?“
Sie: „Nichts. Buen Camino!“
Ein paar Stunden später dann in einem Café am Stadtrand von León. Kaffeepause. Der Barkeeper kommt voll beladen an unseren Tisch. Zwei Cortados. Und zwei dicke Stücke Zitronenkuchen.
„Buen Camino“, sagt der Kellner noch. Und schon ist er verschwunden.
Eine schöne Begegnung gab es heute auch wieder beim Wandern.
„Hola, Hi, Hallo, Bonjour, Buen Camino!“, rasselt da plötzlich neben mir ein Pilger alles runter, was ihm gerade einfällt. Julius muss buchstäblich aus dem Nichts gekommen sein, als er urplötzlich in dem Moment neben mir steht, als ich mich gerade mental auf die Steigung vorbereite, die jetzt vor uns liegt.
Julius ist 19, stammt aus Leipzig und hat tausend Fragen. Das Übliche natürlich zuerst: Woher? Wohin? Wie lange schon? Und überhaupt sei Montréal für ihn eine Traumstadt.
„Warum gerade Montréal“, frage ich ihn.
„Cirque du Soleil!“, kommt es aus Julius wie aus der Pistole geschossen. Das wäre sein Traum, beim Cirque du Soleil aufzutreten, der ja schließlich aus Montréal stammt.
Julius ist nämlich Jongleur, Feuerschlucker und Fakir. Er habe gerade ein halbes Jahr in Nicaragua verbracht und sei dort mit einem Wanderzirkus herumgezogen.
Ich erzähle ihm, dass auch ich mir in seinem Alter das Geld für meine Reisen als Streetperformer verdient habe.
Julius ist beeindruckt. „Und jetzt machst du einfach mal kurz den Camino“, sagt er.
Naja, „einfach mal kurz so“ wird dem Anspruch an unser Jakobsweg- Projekt wohl nicht so richtig gerecht. „Für uns“, sage ich zu Julius, „ist das schon etwas sehr Besonderes“.
Und während ich jetzt ernsthaft Anlauf zu der Steigung nehme, erzählt mir dieser freundliche Kerl, dass er den Camino schon einmal als sechsjähriger Bengel gewandert sei.
Besonders cool fand er rückblickend, dass sich Papa ums Gepäck schleppen kümmerte und er, Julius, nur den Stock tragen musste.
„Genau den hier“, sagt er. Und zeigt mir einen geschnitzten Nussbaumstock, eigentlich viel zu kurz für so einen langen Kerl wie Julius. Aber damals war er sechs. Da passte die Länge.
Er müsse jetzt Gas geben, entschuldigt sich mein neuer Kumpel jetzt. Er müsse heute Abend noch ein bisschen arbeiten.
Aha, arbeiten. „Was denn?“, will ich wissen.
„Jonglieren und Feuerspucken“, sagt er. „Vielleicht siehst du mich ja heute Abend an irgendeiner Straßenkreuzung in León!“
Ich bezweifle, dass ich Julius wiedersehen werde. Schade eigentlich. Aber nach Straßenkreuzungen ist mir nach einem anstrengenden Pilgertag so gar nicht zumute. Schon eher nach der Tapas-Bar von gegenüber. Die gönnen wir uns jetzt.
Entspannte Grüße in die weite Welt.
Und Buen Camino aus León!

Julius: Jongleur und Feuerspucker.

Brot frisch aus der Backstube: Buen Camino!
Looks like more than half-way is behind you now! Well done!
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