Brexit-Talk im spanischen Regen

Alan und der Brexit: Privat-Vorlesung im Regen.

JAKOBSWEG, Tag 25 –  12 Kilometer von Astorga nach Santa Catalina de Somoza

FÜR ELFRIEDE

Wir widmen jeden Tag unserer Pilgerreise einem Menschen, der uns viel bedeutet hat, aber nicht mehr unter uns weilt.


Wir sitzen hier in einem traumhaft schönen Landhotel mit Blick in die Berge, knapp 12 Kilometer von Astorga entfernt. Und wir sind ein bisschen verloren. Hätten wir gewusst, dass der strömende Regen, der uns den ganzen Vormittag über begleitet hatte, doch noch nachlässt, wären wir noch weiter gewandert.

Aber jetzt ist es zu spät. Wir haben eingecheckt und machen das Beste aus dem abgebrochenen Wandertag.

Besonders stolz sind wir nicht auf unser heutiges Tagespensum. Der Regen prasselte aber auch sowas von nieder, wer hätte den Wetterumschwung auch erahnen können?

Den Morgen hatten wir noch mit einem tollen Frühstück im feinen Ambiente der zauberhaften Posada in Astorga verbracht. Und dann ging’s los. Kaum hatten wir die Stadt hinter uns gelassen, setzte der Regen ein.

Schutz suchten wir schon bald in einer witzigen Bar, die zwei alte Damen am Camino betreiben. Aber irgendwann war gut und wir spielten mit unseren Regenponchos wieder einmal Rotkäppchen.

Und plötzlich wandert Alan neben mir her.

Alan ist Engländer und arbeitet als Anwalt in Brüssel gegen den Brexit. Um dem ganzen Zirkus wenigstens vorübergehend zu entfliehen, machte er sich für ein paar Wochen auf den Camino. Das heutige Wetter fand er richtig okay. Es erinnert ihn an Zuhause.

Was er nicht okay findet, ist der Brexit.

Alan glaubt aber, dass es gar nicht soweit kommt. „Die Brexit-Befürworter sind auf dem besten Weg, sich selbst zu zerlegen“, sagt er unter dem unaufhörlichen Prasseln des Regens, der sich auf unseren Ponchos anhört wie das Rasseln einer Nähmaschine.

Wie es überhaupt soweit kommen konnte, will ich von Alan wissen, der über das Thema Brexit auch an Universitäten doziert hat. Seine Antwort finde ich faszinierend.

„Der Engländer an sich interessiert sich für Politik nur mäßig“, hebt mein Mitwanderer zum Vortrag an. Seine Landsleute seien zwar fasziniert von den Royals, aber nicht so sehr von dem, was im Unterhaus passiert.

„Dann tauchte ein Clown namens Boris Johnson auf und englische Politik hatte plötzlich Unterhaltungs-Charakter“. Das habe vielen Briten gefallen, sagt Alan. Das Publikum beklatschte Johnson zu Beginn der Brexit-Show.

Doch als sich „dieser Clown“ immer mehr in Richtung Abgrund bewegt habe, war es zu spät und das Unheil nahm seinen Lauf.

„Und jetzt“, doziert Alan weiter, „haben sie den Salat“. Aber wie gesagt: Noch ist Europa nicht verloren. Glaubt Alan, der den Camino übrigens schon mal vor 30 Jahren gewandert ist.

Ob er auch wie wir in Santa Catalina de Somoza absteigen werde, will ich von ihm wissen. Nein! Er möchte unbedingt noch bis ins nächste Dorf wandern, sagt Alan. Dort gebe es ein von Engländern betriebenes Hostel. Punkt 16 Uhr sei dort Teatime. Die wolle er sich nicht entgehen lassen.

Und während Alan bei Tea and Scones vermutlich weiter über den Brexit doziert, genießen wir in diesem traumhaft schönen Anwesen aus dem 17. Jahrhundert das Ambiente und den Blick übers Tal in die Berge. Die stehen uns morgen bevor.

Aber morgen ist morgen und jetzt ist jetzt. Und genau jetzt schicken wir Brexit-freie Grüße in die weite Welt hinaus.

Und wünschen aus dem idyllischen Flecken Santa Catalina de Somoza Buen Camino!

7 Gedanken zu „Brexit-Talk im spanischen Regen

  1. super schöne „Absteige“…. irgendwie fasziniert mich Euer Weg…,man muss ja nicht täglich 25 km abreißen… Ist doch alles eine Frage der Zeit und da wir ja alle den Genuss des Rentner Daseins genießen…, wer treibt uns??
    Liebe Grüße y Buen camino!

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  2. Danke! Dann lasst das (An)Feuer(n) doch bitte lodern, bis wir überm Berg sind. Liebe Grüße von einem Spanien zum andern – der Pilgerer mit seiner Pilgersfrau 😀

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  3. Jetzt muss ich doch auch mal etwas schreiben.
    Irene und ich bewundern euch täglich mit euren Reiseabschnitten und wir freuen uns jedes Mal, wenn wir lesen können dass es euch gut geht und ihr all diese Herausforderungen gut meistert.
    Großen Respekt vor den bisherigen Leistungen und es ist klar ihr werdet alles auch bis zum Ende schaffen.

    @ Leopold und Irene:
    Danke, Ihr Lieben! Es ist schön zu wissen, dass Ihr in Gedanken mit uns pilgert. Kommentare wie dieser machen uns Mut. Den werden wir brauchen, denn ab morgen geht’s in die Berge!

    Gefällt 1 Person

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