Wir sind nicht mehr allein

JAKOBSWEG, Tag 29 – 17 Kilometer von Ponferrada nach Cacabelos.

FÜR EDITH

Wir widmen jeden Tag unserer Pilgerreise einem Menschen, der uns viel bedeutet hat, aber nicht mehr unter uns weilt.


Der Camino hat seit heute ein anderes Gesicht. Fast 500 Kilometer und genau einen Monat nach dem Start unserer Pilgerwanderung in Pamplona, hat sich hinter Ponferrada nicht nur die Landschaft verändert. Auch die Chemie auf dem Jakobsweg ist nicht mehr dieselbe.

Wo wir bis gestern oft völlig allein in schnuckeligen spanischen Dörfern unterwegs waren, strömen seit heute die Massen durch oft gesichtslose Häuser-Ansammlungen.

Meist sind es jetzt Männer und Frauen, die mit kleinem Gepäck für den Tagesproviant unterwegs sind.

Hin und wieder besteigen sie einen Reisebus, der sie für die Nacht zu ihren Rollkoffern in vorgebuchte Hotels bringt – Hotels und Herbergen, die uns, den Schwertransportern auf zwei Beinen, jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen. „Ausgebucht“, ist das Wort, das ich seit gestern mit am häufigsten gehört habe.

„So gefällt mir der Camino nicht mehr“, sagt die junge Holländerin entnervt, während sie im Gehen per Handy versucht, ein Bett für die Nacht zu finden. Ohne Erfolg, zumindest so lange wir zusammen gewandert sind.

„Ich bin mir nicht sicher“, schreibt mir Andrew per WhatsApp, „ob ich den Camino noch so mag wie am Anfang“.

Am Anfang, das war, als wir dem Australier in der Rioja-Gegend in einem Dorf ohne Namen begegnet sind.

Damals waren wir noch gefühlt die einzigen Pilger, die das „Abenteuer Jakobsweg“ auf sich nahmen. Heute kommen wir uns vor, als habe halb Spanien den Camino für sich entdeckt.

„We can only hope“, schreibt mir Andrew, „that the masses will have disappeared after Easter“.

Genau darauf zählen auch wir. Vielleicht sind es ja wirklich nur die Osterfeiertage, in denen plötzlich massenweise Menschen den Jakobsweg überschwemmen – manche davon in grölenden Männergruppen, die an Vatertagsausflüge erinnern.

Dabei hatte der Tag ja so schön und stimmungsvoll begonnen. Schon im Morgengrauen drangen die düsteren, ergreifenden Melodien der Karfreitags-Prozession in unser Hotelzimmer.

Auf dem Weg zum Camino ging es dann weiter. Durch die Altstadt von Ponferrada zogen die uns inzwischen bekannten Gilden in ihren Kutten und den Spitzhüten, die der Laie schon mal mit Kukluxclan-Mützen verwechseln kann.

Dass Menschen in der Lage sind, die viele Zentner schweren Heiligenfiguren mit bloßen Händen zu tragen, ist mir bis heute unerklärlich. Dabei wurden wir schon häufig Teil dieses bizarr anmutenden Rituals, das wir zuerst vor zehn Jahren auf Mallorca erlebt haben.

Eine Karfreitagsprozession erwartet uns auch gleich hier wieder, in Cacabelos, wo wir mangels Alternativen in der bisher bescheidensten Herberge abgestiegen sind. Will mal so sagen: In der Dusche habe ich eben vorsichtshalber Flipflops getragen.

Morgen geht’s weiter Die Sonne soll scheinen und der Karfreitagsblues gehört dann der Vergangenheit an.

So schicken wir heute zum ersten Mal leicht genervte Grüße in die hoffentlich fröhliche Welt hinaus.

Und sagen Buen Camino aus Cacabelos.

 

 

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4 Gedanken zu „Wir sind nicht mehr allein

  1. Man spricht auch von „Bruderschaften“. Und ja, ihr Anblick ist schon gewöhnungsbedürftig. Trotzdem faszinierend, diese Prozessionen.

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  2. Also die Gilden (das Wort kannte ich bis jetzt so gar nicht) sind irgendwie ein bisschen gruselig. Aber tolle Bilder! 🙂 Viel Erfolg euch weiterhin!

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