Unser Sohn (32) im Altersheim

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Wenn dein Sohn dir erzählt, er gehe ab morgen ins Altersheim, dann machst du dir erst einmal Sorgen. Cassian ist 32, geht täglich joggen und manchmal ins Gym. Für die Midlifecrisis ist es zu früh, für den Ruhestand erst recht. Warum dann das Ganze? Weil er als Freiwilliger in der Corona-Krise aushelfen möchte.

Das Virus tobt hier vor allem unter alten Menschen. Die allermeisten der 983 Todesopfer, die bis heute allein in Montreal zu beklagen sind, werden aus Altersheimen gemeldet.

Viel zu viele Tote also, und viel zu wenig Personal. Und weil er seinen Beruf zurzeit ohnehin nicht ausüben kann, meldete sich Cassian als „Volunteer“ im Altersheim.

Zusammen mit Christine, einer  jungen Mitbewohnerin, geht er frühmorgens

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Einsatz im Altersheim: Cassian und Christine

aus dem Haus, um sich in einem Altersheim im Stadtteil Notre-Dame-de-Grâce nützlich zu machen.

Nach einem Crashkurs bringen er und Christine dann anderen Helferinnen und Helfern bei, wie sie sich mit Schutzkleidung virussicher an- und wieder auskleiden sollen.

Dass unser Sohn die erzwungene Arbeitspause für einen guten Zweck nutzt, macht uns als Eltern stolz. Aber Cassian und Christine sind keine Einzelfälle.

Aus deutscher Sicht vermutlich schwer verstændlich, aber Kanada könnte ohne den Einsatz von Freiwilligen vermutlich kaum existieren. Der Pioniergeist, mit dem dieses Land aus dem Boden gestampft wurde, steckt auch neute noch vielen in den Knochen.

Der Kennedy-Satz „Ask not what your country can do for you, ask what you can do for your country“, findet hier tagtäglich tausendfach seine Anwendung.

Man streicht Frühstücksbrote für die Kinder des „Day Care Centre“, schneidert Kostüme für das Schultheater. Man backt Weihnachtskekse für den Basar der Schule. Oder man stellt eben seine Zeit und Arbeitskraft für ein Altenheim zur Verfügung, in dem es fast jeden Tag neue Corona-Tote gibt.

Auch Cassian wurde bereits am ersten Tag Zeuge, wie einer von ihnen abtransportiert wurde.

Freiwilligenarbeit hat in Kanada Tradition. „Volunteering“ ist keine Verpflichtung sondern ein Lebenskonzept, das jedem Neu-Kanadier schon bei der Vereidigung schriftlich nahegelegt wird.

„Volunteering makes a tremendous difference to the people around you; be bold and tackle the social issues that you see“.

Dieser Satz ist mir von meiner eigenen Vereidigung zum kanadischen Staatsbürger in Erinnerung geblieben. Mit Freiwilligenarbeit die sozialen Missstände anzukämpfen im Zeichen des Ahornblatts.

Cassian ist in Kanada geboren, eine Vereidigungszeremonie kennt er nur vom Hörensagen. Aber das Bedürfnis einzuspringen, wenn Not am Mann, der Frau oder der Gesellschaft ist, scheint tief in ihm zu sitzen.

Da passt es gut ins Bild, dass übers Wochenende gleich zwei prominente Kanadier ihre Freiwilligendienste angeboten haben:

Der Quebecer Laurent Duvernay-Tardif ist nicht nur Star-Footballer der Super-Bowl-Sieger “Kansas City Chiefs“, er ist auch Arzt. Aber er arbeitet nicht als Mediziner in einem der vom Virus erschütterten Montrealer Altenheime, sondern als Pfleger.

Und auch die Eiskunstläuferin Joannie Rochette, zweifache Medaillengewinnerin bei Olympischen Spielen, stellt ihre Fähigkeiten nicht als Ärztin in den ehrenamtlichen Dienst der Corona-Betreuung, sondern als Altenpflegerin.

„An Ärzten fehlt es uns nicht“, erklärt Ministerpräsident François Legault jetzt schon seit Wochen in fast jeder seiner täglichen Pressekonferenzen. Aber es wird händeringend Pflegepersonal in den Altenheimen gesucht.

Laurent, Joannie, Cassian und Christine und Tausende von anderen Freiwilligen sind dem verzweifelten Appell der Regierung gefolgt.

Und wir sind stolz wie Oskar.

Wie man Schutzkleidung richtig an- und auszieht sehen Sie in  >> diesem Video <<

2 Gedanken zu „Unser Sohn (32) im Altersheim

  1. …der ist euch aber wirklich gut gelungen – kein Wunder bei DEN Eltern!!!
    Herzliche Grüße an euch drei aus der schulischen Notbetreuung in Köln
    Karina

    Gefällt 2 Personen

  2. You have every reason to be proud.
    And it is not just Germans that often don’t understand how much volunteers mean to the Americas. Many of our own citizens don’t understand.
    For a while, we of the older generations, the „baby boomers,“ were concerned because those becoming adults in the 70s, the „me too“ generation and 80s didn’t seem interested in helping others. But now we see your son and his friend’s generation stepping up again and they give us hope for the future.

    Gefällt 1 Person

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