Meine Nächte mit Marihuana

IMG_2735So, jetzt ist es raus: Ich konsumiere Drogen. Ich gönne mir mit 71 noch mal Marihuana. Mein Joint geht unter die Zunge, denn es ist eine Tinktur, die ich zu mir nehme. Meistens gegen Abend lasse ich mit einer Pipette ein bisschen Cannabis-Öl in den Mund tröpfeln – und los geht’s. Ehe der Stoff wirkt, können zwei, drei Stunden vergehen. Aber dann hält das kleine Glück bis zu acht Stunden an. Eine Nacht lang also, das ist mir wichtig.

Ich leide an Schlafstörungen. Dreißig Jahre als Auslands-Korrespondent, der zu jeder Tages- und Nachtzeit Bereitschaftsdienst hat und in unzähligen Nächten durch Anrufe von Sendern aus dem Tiefschlaf geweckt wurde, sind nicht ohne Folgen geblieben.

Dass oft höllisch schmerzhafte Muskelkrämpfe die ohnehin schon reduzierte Nachtruhe stören, sei hier der Vollständigkeit halber auch erwähnt. Calzium oder andere Mineralstoffe als Gegenmittel sind in meinem Fall nicht möglich. Die Gründe dafür aufzulisten, würde zu weit führen.

Was also tun? Noch mehr Medikamente als ohnehin schon nötig, sind so gar nicht mein Ding. Yoga und andere Entspannungstherapien haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Montrealer Nächte sind lang und nicht immer lustig.

Dann kam Allie.

Allie ist eine Nachbarin, die einen stressigen Job und einen Freund mit Migräne-Attacken hat. Als wir irgendwann auf das Thema Schmerzbewältigung und Schlafstörungen zu sprechen kamen, erwähnte sie eher beiläufig Cannabis.

Sie sei so gar nicht der Joint-Typ, meinte Allie, ihr Freund genau so wenig. Für ihr Lebensglück brauche sie keinen Happy-Stick, der ihr ein Dauergrinsen ins Gesicht zaubere. Aber diese Tinktur, die man in homöopathischen Dosen unter die Zunge tröpfelt, hätten ihr eine neue Perspektive gegeben – eine, die nichts mit Drogensucht zu tun hat und auch nichts mit stimmungsverändernden Substanzen.

Marihuana als Medizin – ohne chemische Wirkstoffe, ganz auf natürlicher Basis.

Mein letzter Drogenkonsum – damals war es noch der gute, alte Joint – liegt schon ein paar Jährchen zurück. Will heißen: Null Erfahrung, was heute so in dieser Richtung abgeht.

Cannabis ist in Kanada legal, erhältlich in staatlich lizenzierten Shops. Also nichts wie in den Montrealer Marihuana-Laden.

Der größte der Stadt liegt an der Hauptgeschäftsstraße Rue Ste. Catherine. Er ist vor

aussen

Menschenschlange vor dem Cannabis-Shop.

allem daran zu erkennen, dass die wartenden Menschenschlangen schon vor Corona länger waren als vor jedem anderen Geschäft. Montrealer mögen Marihuana.

Ich stelle mich also in die Schlange und scanne mein Umfeld ab. Mann im Rollstuhl, Frau in High Heels, Mädchen bauchfrei, mit und ohne Tattoos. Jede Menge Jungs. Und erstaunlich viele alte Leute. Mit meinen 71 bin ich ausnahmsweise mal nicht der Älteste.

Die erste Hürde wäre geschafft. Dann also rein in die gute Stube.

Es ist vor allem eine schöne Stube. Der Laden glänzt blitzblank und erinnert an eine besonders coole Apotheke. Überall Schublädchen und Türchen. In einer Glasvitrine liegen kleine Dosen, Pfeifen und anderes Zubehör. Was man halt als Drogenkonsument so braucht.

Das Personal: Alle um die 30. Alle ganz in Schwarz mit grüner Schürze. Alle sehr freundlich, sehr

innen

Blitzblank und superfreundlich: Cannabis-Shop.

aufmerksam. Und äußerst zuvorkommend.

„Can I help you?“, sagt der Verkäufer mit „Olivier“ am Hemd. „Schon“, sage ich, „aber so richtig weiss ich gar nicht, was ich will“.

Olivier weiss es. Ein bisschen Entspannung, ein wenig Glück – die genau richtige Mischung für mich heißt „Harmoniser“, sagt Olivier. „Harmoniser“ ist eine Mischung aus Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Beides sind Bestandteile der Hanfpflanze, aus der Marihuana gewonnen wird.

Das Fläschchen reicht für einen Monat und kostet um die 22 Dollar. So viel habe ich früher für meinen Zigarettenkonsum ausgegeben. An einem Tag!

Olivier empfiehlt mir die richtige Dosis („Niedrig anfangen, höher geht später immer noch“) und die beste Form der Verabreichung. Unter die Zunge getröpfelt wirke Cannabis-Öl am schnellsten. Mit Wasser oder gar Alkohol vermischen würde er nicht.

„Immer schön die Kontrolle behalten“, sagt der Verkäufer und spricht so sanft auf mich ein, als würde Klein-Olivier dem Opa das erste Handy erklären.

Marihuana konsumiere ich ganz ohne schlechtes Gewissen. Cannabis ist in Kanada völlig legal, seitdem Premierminister Justin Trudeau im Oktober 2018 Marihuana legalisiert hat. Seither dürfen Erwachsene, je nach Provinz, den Stoff in der Öffentlichkeit konsumieren und bis zu 30 Gramm mit sich führen.

Danke, Justin! Und gute Nacht.

4 Gedanken zu „Meine Nächte mit Marihuana

  1. +1 was Basti sagt. Da wäre ich auch gern „dabei“, wenn mich mal wieder die halbe Nacht schlaflos herumwälze. Vielleicht gibt es ja noch ein Umdenken. Oder ich wedle mit meinem kanadischen Pass und sag: Hey, als Kanadierin darf ich das… ;-)

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  2. Ist doch ein schlauer Zug: der Staat nimmt Steuern ein, der Markt wird reguliert und der Schwarzmarkt weitestgehend trocken gelegt. So zumindest die Theorie. Warum das in Deutschland nicht auch so gehandhabt wird, ist mir ein Rätsel. Gute Nacht 😉

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  3. Cannabis als Medikament ist wirklich wirksam, besonders bei chronischen Schmerzen. In der Schulmedizin immer wichtiger als Heilmittel.
    Gruß Eifel55 M. F.

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  4. Obwohl es jetzt in Kanada legal ist fühlt man sich trotzdem immer noch ein wenig schuldig.

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