
Ich sehe nicht gut und gehe schlecht. Ich höre miserabel und verstehe manches gar nicht, auch wenn ich es richtig gehört habe. Die Muskelmasse nimmt ab mit jedem Handgriff, den ich tun sollte. Mein Organisationstalent beschränkt sich inzwischen auf einen koordinierten Ablauf des Frühstücks.
Schaffe ich den zeitlichen Abstand der Nahrungsaufnahme zwischen Mittag- und Abendessen, habe ich mein Tagespensum an Logistik erreicht. Meistens. Manchmal ist mir morgens um sieben nach Schweinebraten mit Spätzle zumute und kurz vor dem Schlafengehen nach einem gekochten Ei.
Achja, Schlafengehen. Statt einzuschlafen würde ich oft am liebsten schon wieder aufwachen. Irgendwann im vorigen Jahrtausend habe ich zum letztenmal ohne Unterbrechung 8 Stunden durchgeschlafen – wann genau, weiss ich nicht mehr. Dabei leide ich nicht an Alzheimer, nicht einmal an Demenz.
Es ist das Alter, Alter!
Ruft einer vor 11 Uhr morgens an, bekomme ich die Krätze. Kann man als Rentner nicht einfach in den Tag hineinleben wie ein Faultier, dessen Lebensinhalt darin besteht, nur noch abzuhängen?
Nein, kann man nicht. Sonst könnte irgendjemand auf die Idee kommen, man sei alt. Richtig alt.
Neulich habe ich gelesen, Alters-Rassismus komme häufiger vor als Hautfarben-Rassismus. “Unverschämtheit!”, rast es mir durch den Kopf, wenn in der U-Bahn mal wieder ein Teenager aufsteht und mir seinen Platz anbietet. “Bleib sitzen, du Alters-Rassist!”, denke ich dann und schäme mich insgeheim für so viel Undankbarkeit.
“Wo kommst Du denn her?”, höre ich jetzt immer häufiger, seitdem ich im Fahrradhelm auftauche. Im Café, in der Eisdiele oder auch bei jüngeren Freunden.
“Vom Radfahren“, stammle ich dann. “Oder ist das uns Alten etwa auch nicht mehr erlaubt?”
Erlaubt schon, höre ich mein Gegenüber dann denken. Aber wären Schachspielen, Bingo oder Hallenhalma in seinem Alter nicht sicherer?
Sicherer schon, hört mein Gegenüber mich dann denken. Aber weisst du eigentlich, wie wunderbar es ist, sich morgens auf den Fahrradsattel zu schwingen und durch die Montrealer Prärie zu reiten?
Sich unter all den Alten da draußen jung fühlen, das ist es! Und sei es auf dem E-Bike mit 750-Watt-Motor.
Doch wer aufsteigt, erlebt irgendwann auch den Abstieg. Buchstäblich. Nichts ist so öffentlich wie der Abstieg vom Fahrrad an einer Großstadt-Ampel. Und der Wiederaufstieg.
“Was, du bist fast 74?”, charmierte neulich der Fahrradhändler, der mir eine Trinkflasche verkaufte. “Das sieht dir nun wirklich keiner an.”
“Warte, bis ich wieder im Sattel bin”, kokettiere ich. Er wartet. Und wartet … und wartet. Und antwortet schließlich mit einem Wort, das man in meinem Alter auf seine Frage nun wirklich nicht hören möchte:
“Stimmt”, sagt er nur. Und weg bin ich.
🤣
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Und mir wird hier, seitdem du über E-Bikes schreibst, vom WordPress-Algorithmus ständig der Artikel „E-Bike Kurs für Senioren“ an Herz gelegt. Was soll ich davon nur halten?
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Wem gehst Du klagen?
Dein Leidensgenosse und Jahrgänger und „nur“ mit 500Watt.
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Sonst noch was. Da gibt’s bei mir andere Baustellen als das Alter. Aber ich finde, so eine nicht ganz ernst zu nehmende Selbstreflektion zwischendurch schadet nicht. Nur so kommt man weiter.
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Du lässt dich aber jetzt nicht vom Alter unterkriegen!!!?
VG
Christa
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Depressiver Tag? Nein, gar nicht, im Gegenteil. Muss ich mir merken: Satire funktioniert im Internet nicht immer.
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Na na, jetzt kokettierst du aber bisschen mächtig mit dem Alter! Es ist schlimm, dass manche Funktionen nicht mehr so sind, wie sie sein sollten und du sie gern hättest. Aber gar so „alt“ und überfordert, wie du dich hier darstellst, bist du ja beileibe nicht.
Schau dir mal den feschen, trainierten Herrn mit Fahrradhelm in deinem letzte Blog an! Der sieht doch dynamisch und an allem interessiert aus, wie eh und je.
Hattest du einfach einen depressiven Tag? Das glaube ich! Das gibt es bei jedem mal, ist normal und vergeht auch wieder. Spätestens, wenn du auf deinem neuen Drahtesel durch die Prärie, ehm… Stadt, reitest! Oder Lore Brezeln backt!
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Als ich zum ersten Mal mit meinem patinete eléctrico durch meine Straße düste, applaudierten die Nachbarn. Mit einem Blick, der sagen sollte „Was will denn der alte Bock noch auf so einem Ding?“ Da war ich 66, also in dem Alter, in dem laut Udo Jürgens das Leben anfängt…
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Großartig 😄😄 sehr coole (Selbst-) Beobachtung.
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