
Was kann man als der Welt größter Fan von Leonard Cohen schon von einer Fernsehserie erwarten, wenn man doch glaubt, alles, wirklich alles, über diesen großartigen Künstler zu wissen? Erwartet habe ich von “So long, Marianne” wenig. Bekommen habe ich ein wunderbares Geschenk, das alles, was ich bisher über “My Man” gelesen, gesehen und gehört habe, vergessen lässt. Die kanadisch-deutsch-norwegische TV-Serie ist ein Meisterwerk in acht Episoden.
Die meisten Songs, Bücher und Gedichte von Leonard Cohen kannte ich schon Jahre vor meinem Umzug nach Montreal, Cohens Heimatstadt. Ob “Beautiful Losers”, “Flowers for Hitler” oder “Suzanne” – einem Hardcore-Fan wie mir machte man nichts vor, wenn es um “Lenny” ging.
Als ich Cohen dann zum ersten Mal in echt begegnet bin – ausgerechnet in einem Montrealer Waschsalon – rutschte mir das Herz so tief in die Hose, dass ich es nicht fertigbrachte, jenen Menschen anzusprechen, der mir als Heranwachsender aus der oberschwäbischen Provinz endlich die Welt erklären konnte.
Meine Welt war seine Welt: kompliziert, neugierig, romantisch, verklärt, herausfordernd und auch ein bisschen wild und chaotisch. Aber immer voller Liebe. Eine Welt, die – wie wohl bei den meisten Teenagern – mindestens so viele tragische Momente enthielt wie Stunden überschwappenden Glücks.
Womit wir wieder bei der Fernsehserie wären. Ich habe sie an zwei Abenden verschlungen – „gebinged“, wie man im Englischen das Suchtverhalten nennt, wenn es um unkontrollierten Film- und Fernsehkonsum geht.
Das unglaublich anstrengende und doch so romantische Leben Cohens auf der griechischen Insel Hydra, die verstörenden Gespräche mit seiner jüdischen Familie im Montrealer Villen-Stadtteil Westmount, der Roadtrip mit Marianne in ihre norwegische Heimat, Cohens Drogenabhängigkeit, sein unbändiges Verlangen nach Liebe und Anerkennung – all das wird in “So long, Marianne” so zauberhaft schön erzählt, dass einem bei manchen Bildern der Atem stockt.
Wenn Leonard Cohen dann im New Yorker “Chelsea Hotel” im Aufzug steht und eine junge Frau ihn fragt, ob er die Zimmernummer von Kris Kristofferson** kenne, einem anderen Barden jener Zeit, läuft der ewige Womanizer Cohen zur Höchstform auf. „Bist du denn Kris Kristofferson schon einmal begegnet?“, fragt er das Mädchen. „Nein“, aber ich würde ihn so gerne kennenlernen“. „Heute ist dein Glückstag“, schwindelt Cohen den Fan im Aufzug an. „Ich bin der Mann, den du suchst.“
Dass die nächste Szene in Cohens Hotelzimmer spielt, ist nun wirklich keine Überraschung. Schöner ist der Ruf des legendären Lady’s Man cineastisch nie umgesetzt worden.
Es war der große Gordon Lightfoot, auch ein Kanadier, der mir vor Jahren in einem Interview von einer Begegnung mit Leonard Cohen in einer Schweizer Hotelbar berichtete. Nie zuvor habe er einen Mann getroffen, der es geschafft habe, einer Frau, die er fünf Minuten vorher kennengelernt hatte, das Gefühl zu geben, sie sei der erste und einzige Mensch der Welt, für den er sich je in seinem Leben interessieren würde.
Leonard Cohen wäre vor ein paar Tagen 90 geworden. Unfassbar, dass einer wie er auch noch sterben musste! Mit “So long, Marianne” wird dem Mann, der meine Jugend prägte, ein würdiges Denkmal gesetzt.
Es war übrigens mein Freund Frank, der mich auf die Serie in der ARD aufmerksam gemacht hatte. Ausgerechnet dieser Frank, der sonst kein gutes Haar an der Deutschen Bahn lässt, frohlockte neulich per Whatsapp während einer Zugfahrt von Berlin nach Köln: „Ich freue mich zum ersten mal über Verspätung, so kann ich länger Cohen schauen“.
“So long, Marianne” ist in der ARD-Mediathek zu sehen oder auch beim Streamingdienst Crave.
** Kris Kristofferson ist ausgerechnet heute im Alter von 88 Jahren gestorben.
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