2. Mythos: Alle Kanadier sind freundlich

Ich kann es nicht mehr hören: „Kanada hat das beste Gesundheitssystem der Welt“. Das beste Schulsystem. Die saubersten Seen. Die gesündesten Wälder. Die freundlichsten Menschen. Wirklich? Von Zeit zu Zeit würde ich gerne ein paar dieser Klischees auf den Grund gehen. Am besten fangen wir mit den Menschen an. Sind Kanadier denn wirklich so freundlich wie es immer heisst?

Ja. Absolut. Zumindest die meisten, die ich kenne. In meinen mehr als 30 Jahren in diesem Land sind mir nur wenige Menschen über den Weg gelaufen, die ich nicht als freundlich, hilfsbereit und vor allem als tolerant bezeichnen würde.

Im Westen Kanadas, wo ich insgesamt fünf Jahre gelebt habe, war mir diese Freundlichkeit anfangs geradezu unheimlich. Hier in Montréal herrscht ein etwas spröderer Charme als in Manitoba, Alberta oder Saskatchewan. Überhaupt ist der Unterschied zwischen Québec und dem Rest des Landes enorm. Das fängt bei der Sprache an und hört beim Essen auf.

Die Rivalität der beiden Metropolen Montréal und Toronto steht der Haassliebe um nichts nach, die Düsseldorf und Köln für einander empfinden. Nach Montréal, so sagen meine frankokanadischen Freunde, kommen die Leute, die in Toronto ihr Geld verdient haben und endlich mal Spass haben wollen. Umgekehrt ziehen viele Montréaler nach Toronto, weil sie endlich richtig Kohle scheffeln wollen.

Wahr ist, dass Montréal als Stadt für mich schwer zu toppen ist. Die Mischung zwischen französischem savoir vivre und dem American way of life dürfte einzigartig in der Welt sein. Baguette und Brie werden bei einer Party in Montréal mit jener Hingabe kredenzt, die im Westen Kanadas Hotdogs und Hamburgern gilt.

„To each his own“, sagt der Anglo. „Chacun à son goût“ der Franko. Man könnte auch sagen: „Jedem das Seine“