Playboy, Pommes und viel Sex

bannerJetzt wissen wir’s genau: Dienstags und samstags wird dieser Blog am häufigsten angeklickt. Die Besucher kommen aus insgesamt 71 Ländern. Die Jahresbilanz von WordPress bestätigt das, was Journalisten bereits am ersten Tag ihrer Ausbildung lernen: Sex sells.

Meine Reportage über die Hutterer – das vergessene Volk landet auch in diesem Jahr wieder auf Platz 1 der Blogparade. Kein Beitrag wurde häufiger angeklickt als die Geschichte über einen Besuch auf einer Hutterer-Kolonie in Manitoba.

An 2. Stelle steht eine Buchkritik. Ein befreundeter Kollege hatte unter anderem über Sex auf Mallorca geschrieben. Und damit massenweise Klicks generiert.

Platz 3: Pommes, Käse und Soße drüber – und fertig ist Poutine, das Nationalgericht der Provinz Québec, in der ich seit 30 Jahren lebe.

Den Kanadier, das unbekannte Wesen, hatte ich bereits im August 2011 als Blogpost vorgestellt. Alle Kanadier sind freundlich haben es in meiner Best-of-Liste des abgelaufenen Jahres auf den 4. Platz geschafft.

Und natürlich lockte auch 2014 wieder das Abenteuer. Meine Spurensuche als Playboy-Reporter in Alaska landete af Platz 5.

Die meisten Blog-Besucher kamen übrigens aus Deutschland. Gefolgt von Kanada und Spanien. Und 68 weiteren Ländern.

Frohes Neues Jahr – Happy New Year – Bonne Année – Feliz Año Nuevo

Wie tickt eigentlich der Kanadier?

Der Kanadier, das unbekannte Wesen: Mehr als 30 Jahre lebe ich nun schon in diesem Land. Und noch immer stehe ich manchmal ratlos vor der Frage: Wie tickt er eigentlich, der Kanadier? Dabei ist die Antwort relativ simpel: Er tickt wie wir. Nur anders. Ein Quickscan der Psyche eines sympathischen Volkes.

Kanadier sind freundlich, höflich, brav, hilfsbereit, familienorientiert und packen gerne selbst mit an, damit sie es nett haben. Baumärkte sind hier so überlaufen wie anderswo Fußball-Arenen. Dabei ist die Do-it-yourself-Kultur nicht immer nur Hobby. Oft ist es auch ein Ausweg aus der prekären Finanzlage, in der sich vor allem junge Familien befinden.

Die Bezahlung ist in manchen Firmen miserabel. Die Arbeitsbedingungen sind, im Vergleich zu Deutschland, suboptimal. Zwei Wochen Jahresurlaub sind für Anfänger die Regel. Wer vier Wochen bezahlten Urlaub hat, muss lange, sehr lange im Geschäft sein. Alles in allem hat das soziale Netz hier mehr Löcher als die Straße vor unserem Haus. Und das will etwas heißen.

Klimarestistent

Der geduldige Kanadier: Politisch und klimatisch leidensfähig bis zur Selbstaufgabe. Konfliktscheu. Abwägend. Ja nicht auffallen. Und wenn, dann nur positiv. Gegen Atomkraft demonstrieren? Nein Danke. Ein Jahr auf eine Krebsbehandlung warten? Schlimm. Aber der Staat tut sein Bestes. Gerade dieses „Er tut sein Bestes“ habe ich hassen gelernt. In diesem Fall, wenn es um die Vorsorge für Kranke und Alte geht, tut der Staat eben nicht sein Bestes. So einfach ist das.

Der freundliche Kanadier: Man kommt schnell mit ihm in Kontakt. Aber dabei bleibt es dann auch meistens. Tiefe Freundschaften entstehen nun mal nicht zwischen Fingerfood und Eishockey. Eine gepflegte Streitkultur erlebe ich hier nur selten. Politischen Diskussionen mit Nachbarn und Bekannten mangelt es an Biss. Man könnte auch sagen: an Offenheit. Wer tritt denn dem anderen schon gerne auf die Zehen?

Der übereifrige Kanadier: Gestern Abend im Französisch. Eine aus der Gruppe erzählt, sie sei total geschafft. Habe das ganze Wochenende über den Weihnachtsbaum geschmückt, Geschenke verpackt und Fudge-Bonbons gerührt. Damit sei sie um einiges schneller als ihre Schwägerin. Hallo? Weihnachten ist in sechseinhalb Wochen. Kann Santa Claus nicht warten?

Der konservative Kanadier: Du bist fest entschlossen, dein Haus im Nobelvorort zu verkaufen und in ein Fabrikloft im Szenenviertel zu ziehen. Typische Reaktion der meisten Kanadier, die ich kenne: Schulterzucken. Rätselraten. Besorgter Blick. Ihr habt doch alles, was ihr braucht. Warum denn um Gottes Willen nach St. Henri?

Der Do-it-yourself-Kanadier

Charakterisierungen eines ganzen Volkes sind eine gefährliche Sache. Deshalb soll ihnen an dieser Stelle auch nicht allzu viel Bedeutung zugemessen werden. Aber ein Gradmesser dafür, wie die Menge hier tickt, sind sie schon. Unfair wäre es allerdings, Frankokanadier und den Rest der Bevölkerung über einen Kamm zu scheren. Hier in Québec ticken nicht nur die Uhren anders. Auch die Menschen. Zu vielen Tugenden, die auch auf englischsprachige Kanadier passen, kommt in diesem Teil des Landes eine hinzu, ohne die ich nicht hier wäre: Lebensfreude. Die meisten Frankokanadier, die ich kenne, kochen gut, essen gern, trinken viel, feiern oft und ausgiebig.

Passt doch: Das französische Joie de vivre und der American Way of Life als Lebenskonzept. Eine Mischung, die schwer zu toppen ist.

Interessant, übrigens, wie Kanadier uns Deutsche sehen: Arbeitsam. Reinlich. Gebildet. Eingebildet. Besserwisserisch. Besserwissend. Griesgrämig. Humorlos. Stylisch. Zuverlässig. Rührig. Erfolgreich. Schnell.

Vor allem auf der Autobahn, auf der jeder Deutsche in Lederhosen mit dem Porsche nach dem Rammstein-Konzert beim Oktoberfest mit Bierkrug und Bratwurst in der Hand via Heidelberg direkt nach Neuschwanstein fährt.

Was nun: Deutsch oder Kanadier?

Zeit für ein Geständnis: Ich bin Kanadier. Und Deutscher. Zwei Staatsbürgerschaften, zwei Pässe. Und nach 30 Jahren immer noch zwei Herzen, die in einer Brust schlagen. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man in Kanada zu-Hause ist, aber in Deutschland da-Heim? Wenn ich das nur wüsste.

Zu-Hause bin ich in Kanada, weil hier mein Haus steht. Da-Heim bin ich in Deutschland, weil es für mich Heimat ist. Steige ich in Frankfurt aus dem Flieger, kommt sofort dieses Hier-gehörst-du-hin-egal-was-kommt-Gefühl auf. Das hat weniger mit Sprache, Menschen oder Gerüchen zu tun. Die unterscheiden sich im Frankfurter Flughafen ohnehin kaum von denen in Barcelona, Toronto oder Buenos Aires. Es ist ein Bauchgefühl. Und weil mein Bauch ziemlich groß ist, ist es ein ziemlich großes Gefühl.

Wo man zu-Hause ist, muss man nicht auch da-Heim sein

Da-Heim: Ummendorf

Obwohl ich mittlerweile länger im Ausland lebe als in Deutschland, könnte ich nicht behaupten, dass ich dieses Hier-gehörst-du-hin-egal-was-kommt-Gefühl auch bei der Rückkehr nach Montréal empfinde. Trotzdem freue ich mich jedesmal, wenn ich wieder zu-Hause bin. Sehr sogar. Aber da-Heim ist irgendwie schöner. Ein Dilemma, also. Manchmal machen mich diese beiden Herzen in meiner Brust traurig und ich würde gerne eines davon an der Garderobe abgeben. Aber welches? Und an welcher Garderobe?

Und immer wieder die Frage: „Was sind wir denn heute?“

Zu-Hause: Montréal

Mein bester Freund hier in Kanada, ein deutscher Kollege ohne kanadischen Pass, der leider viel zu früh verstorben ist, pflegte seine Telefonate mit mir stets mit der Frage einzuleiten: “Was sind wir denn heute?” Ob ich mich in diesem Moment als Kanadier oder Deutscher fühlte, hing oft von der Tagestemperatur ab, oder von der Zahl der Moskitostiche, die ich abbekommen hatte. Oder auch davon, was ich gerade in der Zeitung gelesen hatte. War etwa die Rede davon, dass Kanada ein 30 Jahre altes Kernkraftwerk für zwei Milliarden Dollar auf Vordermann bringen werde, hätte ich meinen kanadischen Pass am liebsten geschreddert. Als einer, der Anti-AKW-Menschenketten nicht vom Hörensagen kennt, sondern dabei war, schämte ich mich sogar ein bisschen für meine kanadischen Landsleute. Und damit für mich. Und hoffte inbrünstig, dass meine deutschen Freunde einen publizierten Schwachsinn wie diesen nicht zu Gesicht bekommen. Sie könnten ja denken, ich sei im rückschrittlichsten Land der Welt gelandet, gleich hinter Syrien.

Ich würde mich gerne aus diesem Wir-Gefühl ausklinken

Ich will nicht wir sein

Umgekehrt zielt das Fremdschämen natürlich auch in die Gegenrichtung. Als die Headline “Wir sind Papst” auch in kanadischen Zeitungen die Runde machte, hätte ich mich ob so viel Wir-Gefühl gerne ausgeklinkt. Ich will nämlich gar nicht Papst sein. Als Auslandsdeutscher ist man  gut beraten, Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Gastgeber-Nation walten zu lassen. Das fällt nicht immer ganz leicht. Ein deutscher Kollege charakterisierte im Kreis kanadischer Journalisten den Deutschen an sich einmal so: “Besserwisser und besserwissend”. Das war mir peinlich.

„… und Deutschen, die im Ausland sind“

Doch die Nabelschau kann auch in die andere Richtung gehen. Auf der Toilette des Deutschen Klubs von Winnipeg habe ich gleich zu Beginn meiner Kanada-Zeit ein Graffito gelesen, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf will: “Gott schütze mich vor Sturm und Wind und Deutschen, die im Ausland sind.” Und da wir gerade am Zitieren sind: Ich glaube, es war Franz-Josef Degenhardt. Er hat den Zwiespalt, mit dem viele Auslandsdeutsche leben müssen, ganz gut auf den Punkt gebracht hat. In einer seiner Balladen kommt der Satz vor: “Hier bin ich am liebsten. Aber noch lieber wäre ich hier.”

Da wären wir wieder bei den zwei Herzen.

2. Mythos: Alle Kanadier sind freundlich

Ich kann es nicht mehr hören: „Kanada hat das beste Gesundheitssystem der Welt“. Das beste Schulsystem. Die saubersten Seen. Die gesündesten Wälder. Die freundlichsten Menschen. Wirklich? Von Zeit zu Zeit würde ich gerne ein paar dieser Klischees auf den Grund gehen. Am besten fangen wir mit den Menschen an. Sind Kanadier denn wirklich so freundlich wie es immer heisst?

Ja. Absolut. Zumindest die meisten, die ich kenne. In meinen mehr als 30 Jahren in diesem Land sind mir nur wenige Menschen über den Weg gelaufen, die ich nicht als freundlich, hilfsbereit und vor allem als tolerant bezeichnen würde.

Im Westen Kanadas, wo ich insgesamt fünf Jahre gelebt habe, war mir diese Freundlichkeit anfangs geradezu unheimlich. Hier in Montréal herrscht ein etwas spröderer Charme als in Manitoba, Alberta oder Saskatchewan. Überhaupt ist der Unterschied zwischen Québec und dem Rest des Landes enorm. Das fängt bei der Sprache an und hört beim Essen auf.

Die Rivalität der beiden Metropolen Montréal und Toronto steht der Haassliebe um nichts nach, die Düsseldorf und Köln für einander empfinden. Nach Montréal, so sagen meine frankokanadischen Freunde, kommen die Leute, die in Toronto ihr Geld verdient haben und endlich mal Spass haben wollen. Umgekehrt ziehen viele Montréaler nach Toronto, weil sie endlich richtig Kohle scheffeln wollen.

Wahr ist, dass Montréal als Stadt für mich schwer zu toppen ist. Die Mischung zwischen französischem savoir vivre und dem American way of life dürfte einzigartig in der Welt sein. Baguette und Brie werden bei einer Party in Montréal mit jener Hingabe kredenzt, die im Westen Kanadas Hotdogs und Hamburgern gilt.

„To each his own“, sagt der Anglo. „Chacun à son goût“ der Franko. Man könnte auch sagen: „Jedem das Seine“