Mein Held, der Große Zabrini

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Ich bin 1949 in Ummendorf geboren, in der Tiefe Oberschwabens. Ich könnte nicht behaupten, dass hier die Post abging. Eine tolle Kindheit hatte ich trotzdem. Hier poste ich ab und zu Erinnerungen an meine Bengel-Zeit.

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Ein Biberacher namens Werner (2.v.l.) war in den 60er-Jahre Leadsänger bei „The Outlaws“. „Vinzenz“, wie er sich damals nannte, singt noch heute in einer Mundart-Gruppe. „Die alte Zeit“ hat er den „Outlaws“ gewidmet. In dem Song (bitte YouTube-Video anklicken!) ist unter anderem auch von „Hebo“ die Rede. Das bin ich (2.v.r.).  Danke, Vinzenz!

Die Geschichte der Rockband „The Outlaws“ (1): Mein Held, der Große Zabrini

In einem kleinen Zimmer im Keller unseres Hauses, dort wo die Mustertapeten-Bücher lagerten, hing seitdem ich denken kann eine Wandergitarre an der Wand. Sie war hellbraun und sah ziemlich verhauen aus, aber die Zargen und das Schallloch in der Mitte waren mit feinen Intarsien verziert. Der Sattel und die Bundstäbchen waren aus Elfenbein, die Buttons dazwischen aus Perlmutt.

Aber was nützt die schönste Gitarre, wenn man nicht spielen kann? Das Geld zum Gitarrenunterricht hatte ich nicht. Und irgendwo auch keine Lust, mich mit einem älteren Mann in einen fensterlosen Raum zu setzen, um stundenlang ein paar Akkorde zu üben. Dieser fensterlose Raum war mir nämlich jedes Mal ein Gräuel, wenn ich am Biberacher Musikhaus Engel vorbeiging.

Durchs Schaufenster, wo all die Gitarren wie Serano-Schinken von der Decke hingen, sah man Herrn Engel oft mit ernstem Gesicht auf einem unbequemen Stuhl sitzen. Der Schüler oder die Schülerin, die ihm gegenüber auf einem nicht weniger bequemen Holzstuhl saß, blickte noch ernster drein als der Lehrer. Dabei war Herr Engel ein richtig netter Mann, wie ich bei gelegentlichen Besuchen seines kleinen Ladens feststellen konnte. Nur Gitarrenunterricht wollte ich bei ihm nicht nehmen. Und konnte es auch nicht, weil mir dazu das Geld fehlte.

Also brachte ich mir die ersten Griffe selbst bei. Erst klimperte ich nur zaghaft auf Vaters Wandergitarre herum und freute mich tierisch, als ich zum ersten Mal „Junge, komm bald wieder“ nachspielen könnte. Nachspielen deshalb, weil ich mir bei einem von Freddy Quinns Fernsehauftritten ganz genau die Positionierung seiner Finger auf dem Griffbrett gemerkt hatte. Nur die alles entscheidende Akkordfolge D-D7-G beim „… bleib nicht so lange fort“, wollte mir einfach nicht gelingen.

Irgendwann fasste ich mir ein Herz und betrat, ohne etwas kaufen zu wollen, den Musikladen von Herrn Engel und fragte den Besitzer, ob er mir vielleicht die fehlenden Akkorde zeigen konnte. Er war einfach großartig, dieser Mann! Nicht nur, dass er mir die Griffe beibrachte. Er schenkte mir auch eine Tabelle mit allen Akkorden, die ich für Freddy-Quinn-Songs benötigte.

Schon bald konnte ich wie Freddy Quinn spielen. Dann wie Peter Kraus. Caterina Valente und Vico Torriani waren auch ganz weit oben auf meiner kleinen Hitparade. Als ich endlich bei „Ein Loch ist im Eimer, oh Henry, oh Henry“ angekommen war, wusste ich: Es wird Zeit, richtig Gitarre spielen zu lernen. Per Fernkurs.

Diese Art zu lernen war damals ziemlich neu und hat sich nie richtig durchgesetzt. Ich glaube, ich weiß auch warum. Es macht einfach keinen Spaß, gegen ein bedrucktes Blatt Papier anzuspielen. Keine menschliche Stimme, die dir sagt, ob du’s richtig gemacht hast oder falsch. Keine musikalischen Vorgaben, die als Korrektiv dienen könnten. Alles in allem eine sehr anonyme Veranstaltung, so ein Fernkurs. Deshalb bestellte ich die Lieferung nach vier Heften wieder ab. Zu viel mehr hätte mein Taschengeld ohnehin nicht gereicht.

Als dann die braunen DIN-A-4-Umschläge nicht mehr regelmäßig mit der Post ins Haus flatterten, fehlten sie mir doch sehr. Bei Freddy Quinn oder dem Medium-Terzett wollte ich auf keinen Fall stehen bleiben. Was ich brauchte, war ein Lehrer.

Zabrini war vier Jahre älter als ich. Ein verwegener Typ, den in Biberach fast jeder kannte. Erstens, weil er so einen exotischen Nachnamen hatte. Und zweitens, weil er es verstand, sich immer so anzuziehen, dass nicht nur ihm selbst die Haare zu Berge standen, sondern auch allen Erwachsenen im Ort. Seine Frisur war Zabrinis Markenzeichen. „Ich möchte nicht, dass du wie Zabrini rumläufst“, hieß es bei uns zu Hause schon mal. Oder: „Du siehst ja schlimmer aus als Zabrini“.

Dabei war Zabrini, dessen Vornamen nur wenige kannten, ein wunderbarer Kerl. Dass er sommers wie winters einen Bundeswehr-Parka trug, störte mich nicht im geringsten. Im Gegenteil, allein schon dieses unorthodoxe Kleidungsstück unterstrich die Coolness dieses schrägen Vogels.

Konventionen schienen den großen Zabrini nicht zu interessieren. In der großen Pause, als unsereins darauf bedacht war, beim Klassenlehrer durch gutes Benehmen aufzufallen (oder noch wichtiger: beim Hausmeister!), hielt Zabrini ungeniert Hof und philosophierte lautstark, wenn auch nicht immer schlüssig, über Dinge, die in diesem Moment jeder wichtig finden musste, aber wohl keiner so richtig verstand. Am wenigsten Zabrini selbst.

Und immer hatte dieser Zabrini ein Lächeln auf den Lippen. Schlechte Laune schien er nicht zu kennen. Unter seiner Mähne blitzten freundliche Augen hervor, die es vielen Biberacher Mädels angetan hatten. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich später schmerzlich erfahren musste, wie Zabrini mir ein Mädel ausgespannt hatte, ehe ich es überhaupt richtig eingespannt hatte. Er war schnell, dieser Zabrini. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch, wenn er Gitarre spielte.

Zusammen mit ein paar anderen Jungs hatte er in Biberach eine Band gegründet, die jeder kannte. „The Surfers“ spielten viele Instrumentals, Gesang war eher Nebensache. Zabrini beherrschte die sechs Saiten seiner Gitarre wie kaum ein anderer. Für Zabrini fing die Kunst des Gitarrespiels nicht bei Freddy Quinn oder Peter Kraus an. Er spielte und rockte für Erwachsene: Searchers, Spotnicks, Beatles, Stones, Moody Blues. Zabrini war mein Hero. Mein Leben hätte ich dafür gegeben, wenn mich dieser Gitarrengott in seinen Inner Circle aufgenommen hätte. Aber dafür bedurfte es eines Masterplans.

Und den hatte ich.