Von Mao bis zu schrägen Tanten

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In meinem Freundeskreis grassiert das Autorenfieber. Sie schreiben Bücher, halten Lesungen und geben Fernsehinterviews. Sie schreiben über Sektierer, schräge Tanten und Journalismus. Oder erklären Kindern den Kapitalismus. Alle schreiben sie Bücher – nur ich nicht. Dabei mangelt es mir nicht an Geschichten, nicht einmal an Zeit. Mir fehlt das Sitzfleisch.

Ich schreibe gerne. Briefe, Mails, Zeitungsartikel, Radioscripts, Blogposts. Die geschmeidige Aneinanderreihung von Buchstaben zu einem schönen Text bereitet mir auch nach 45 Journalisten-Jahren noch immer ein wohliges Gefühl. Doch auch nach Tausenden von Reportagen hat es zu einem eigenen Buch bisher nicht gereicht. Dabei freue ich mich jedes Mal wie ein Schneekönig, wenn ein Freund sein œuvre auf den Markt bringt. Nur mir geht das Gen für lange Texte ab. Ich kann nicht Buch. Dabei bin ich umgeben von Menschen, die’s können.

“Nimm mich mit Kapitän auf die Reise”

Der erste, der in meinem Freundeskreis ein Buch auf den Markt brachte, war ein deutscher Maler, den es noch im hohen Alter nach Kanada verschlagen hatte. Vor einigen Jahren ist er in dem Dorf gestorben, in dem ich bis Juli gewohnt habe. Ehe er sich an einen Roman wagte, hatte er schon Lieder gedichtet, die im Deutschland der 50er- und 60er-Jahre zum Ohrwurm wurden. „Nimm mich mit Kapitän auf die Reise“ für Hans Albers, ist eines davon. „Eine Handvoll Reis“ für Freddy Quinn ein anderes.

„Das liest sich wie eine Todesanzeige“

Im späteren Leben wurde dieser Mann ein kritischer Beobachter meines Journalistendaseins. Einmal, als ich gerade von einer aufwändigen Reporterreise aus Alaska zurückgekommen war und für den „Playboy“ darüber schrieb, hatte er einen einzigen Satz für mein Werk übrig: „Das liest sich“, murmelte der alte Fritz, „wie eine Todesanzeige“. Das saß. Freunde sind wir trotzdem geblieben. Von ihm stammt übrigens der bemerkenswerte Satz: „Das bisschen, das ich noch lese, schreibe ich selbst“.

Dann kam Bernd, mein lieber, guter Freund Bernd aus Winnipeg. Auch er starb viel zu früh, hinterließ aber ein Lebenswerk, das 22 Bücher umfasst. Es sind Bücher über religiöse Minderheiten wie Mennoniten, Hutterer und Amish People, über Kriege und ehemalige deutsche Kolonien. Bernd war der Fleißarbeiter unter meinen Schriftsteller-Freunden. Ich glaube, keiner hat so akribisch recherchiert wie er.

Wegen eines Hosenträgers nach Mexiko

Einmal fuhr er für ein einziges Foto nach Mexiko, legte sich in der Nähe einer Amish-Kolonie tagelang auf die Lauer und wartete darauf, bis ein Farmer aufs Feld kam, der die Hosenträger nicht vertikal überm Bauch trug, sondern schräg, von rechts oben nach links unten. Dieses Detail war wichtig für Bernds Buch, es hatte eine Bedeutung, die er seinen Lesern nicht vorenthalten wollte.

Ein anderer meiner Freunde machte sich einen Namen als Autor eines Buches über Menschen, die ihm als Journalist begegnet sind. Auch die Frau an seiner Seite ist jetzt unter die Autorinnen gegangen, mit einer Familiengeschichte über ihre schrägen Tanten vom Niederrhein. Und Dorothee, eine liebe Kollegin aus Bonn, hatte schon vor Jahren in die Tasten gegriffen, um sehr einfühlsam über das Thema Sterbebegleitung zu schreiben.

Nick, ein Kumpel aus meiner Zeit als Lokalredakteur, lebt heute als gefragter Autor in New York. Ein Buch, in dem er (s)einem Kind erklärt, wie Wirtschaft funktioniert, hat ihm Preise eingebracht.

Uli, Oberschwabe wie ich, der es später zum China-Korrespondenten gebracht hat, schrieb schon vor Jahren eine viel beachtete Biografie über Mao Tse-Tung, gefolgt von einer Serie von exquisiten Koch- und Reisebüchern, alle zum Thema Tibet und China.

Meine unveröffentlichten Helden

Dann gibt es in meinem Freundeskreis noch ein paar unveröffentlichte Autoren, deren Werke ich nicht weniger schätze als die meiner Kumpels aus dem Bestsellermileu. Ich habe großen Respekt vor ihnen. Die Hingabe, mit der sie ihre Geschichten recherchieren, die Details, mit denen sie ihre Krimis ausschmücken, das alles finde ich beneidenswert.

Um Schriftsteller zu werden, reicht eine gute Schreibe allein nicht. Es gehören ein langer Atem dazu und vor allem ein dickes Sitzfleisch. Und weil ich bisher über keine dieser Tugenden verfüge, begnüge ich mich eben weiterhin mit kurzen Episoden aus meinem kleinen Leben.

Ganz habe ich die Hoffnung auf ein Buch noch nicht aufgegeben. Anatomisch betrachtet müsste ja mit dem Körperumfang auch das Sitzfleisch dicker werden. Das wäre dann die Chance fürs Buch.