„Schreib doch mal ein Buch“. Ich weiss nicht, wie oft ich diesen Satz in den letzten Jahren gehört habe. Von Freunden und Kollegen, von Teilnehmern meiner Seminare, von Blog-Lesern und natürlich von der eigenen Familie. Jetzt ist es soweit: In wenigen Tagen erscheint mein erster Roman bei Amazon.
Ausreden, kein Buch zu schreiben, gab es immer schon genug: Keine Zeit. Keine Lust. Keine Gelegenheit. Das alles stimmte irgendwann, irgendwie. Nur eine Entschuldigung ließ ich nie gelten: Keine Themen.
Geschichten aus meinem Leben gibt es jede Menge. Fröhliche, traurige, skurrile, runde, bunte. Jetzt habe ich die schönsten von ihnen zu einem Roman zusammengefasst.
Der Sommer 2015 war ideal zum Schreiben, das Blockhaus am Lac Dufresne der perfekte Ort, um aus einer Idee ein Buch werden zu lassen.
„Das gibt sich bis 1970“ ist ein Roman mit 52 Kapiteln: Die erste große Liebe. Die erste lange Reise. Die ersten Abenteuer. Zentrale Handlung ist ein Roadtrip, der mich als Fünfzehnjähriger per Anhalter zu einem Mädchen nach Spanien führt.
Dass ich meinen ersten Roman in Form eines eBooks veröffentliche, war eine logische Überlegung. Als Onlinejournalist ist das Internet seit seiner Einführung zu meiner medialen Heimat geworden. Ebooks können weltweit heruntergeladen werden. Die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig arbeiten zu können, sehe ich als ein Geschenk für jemanden, der seit Jahren zwischen Kanada, Deutschland und Spanien pendelt.
Mein Roman erscheint demnächst bei Amazon. Der Download ist kinderleicht. Der Text kann am PC, am Laptop, am Tablet oder auf dem Handy gelesen werden. Und natürlich im „Kindle“-eBook-Reader, den Amazon seinen Lesern anbietet.
Geschrieben habe ich meinen Roman für alle, die an die Liebe glauben und das Leben als Abenteuer sehen. Also für Sie.
In meinem Freundeskreis grassiert das Autorenfieber. Sie schreiben Bücher, halten Lesungen und geben Fernsehinterviews. Sie schreiben über Sektierer, schräge Tanten und Journalismus. Oder erklären Kindern den Kapitalismus. Alle schreiben sie Bücher – nur ich nicht. Dabei mangelt es mir nicht an Geschichten, nicht einmal an Zeit. Mir fehlt das Sitzfleisch.
Ich schreibe gerne. Briefe, Mails, Zeitungsartikel, Radioscripts, Blogposts. Die geschmeidige Aneinanderreihung von Buchstaben zu einem schönen Text bereitet mir auch nach 45 Journalisten-Jahren noch immer ein wohliges Gefühl. Doch auch nach Tausenden von Reportagen hat es zu einem eigenen Buch bisher nicht gereicht. Dabei freue ich mich jedes Mal wie ein Schneekönig, wenn ein Freund sein œuvre auf den Markt bringt. Nur mir geht das Gen für lange Texte ab. Ich kann nicht Buch. Dabei bin ich umgeben von Menschen, die’s können.
“Nimm mich mit Kapitän auf die Reise”
Der erste, der in meinem Freundeskreis ein Buch auf den Markt brachte, war ein deutscher Maler, den es noch im hohen Alter nach Kanada verschlagen hatte. Vor einigen Jahren ist er in dem Dorf gestorben, in dem ich bis Juli gewohnt habe. Ehe er sich an einen Roman wagte, hatte er schon Lieder gedichtet, die im Deutschland der 50er- und 60er-Jahre zum Ohrwurm wurden. „Nimm mich mit Kapitän auf die Reise“ für Hans Albers, ist eines davon. „Eine Handvoll Reis“ für Freddy Quinn ein anderes.
„Das liest sich wie eine Todesanzeige“
Im späteren Leben wurde dieser Mann ein kritischer Beobachter meines Journalistendaseins. Einmal, als ich gerade von einer aufwändigen Reporterreise aus Alaska zurückgekommen war und für den „Playboy“ darüber schrieb, hatte er einen einzigen Satz für mein Werk übrig: „Das liest sich“, murmelte der alte Fritz, „wie eine Todesanzeige“. Das saß. Freunde sind wir trotzdem geblieben. Von ihm stammt übrigens der bemerkenswerte Satz: „Das bisschen, das ich noch lese, schreibe ich selbst“.
Dann kam Bernd, mein lieber, guter Freund Bernd aus Winnipeg. Auch er starb viel zu früh, hinterließ aber ein Lebenswerk, das 22 Bücher umfasst. Es sind Bücher über religiöse Minderheiten wie Mennoniten, Hutterer und Amish People, über Kriege und ehemalige deutsche Kolonien. Bernd war der Fleißarbeiter unter meinen Schriftsteller-Freunden. Ich glaube, keiner hat so akribisch recherchiert wie er.
Wegen eines Hosenträgers nach Mexiko
Einmal fuhr er für ein einziges Foto nach Mexiko, legte sich in der Nähe einer Amish-Kolonie tagelang auf die Lauer und wartete darauf, bis ein Farmer aufs Feld kam, der die Hosenträger nicht vertikal überm Bauch trug, sondern schräg, von rechts oben nach links unten. Dieses Detail war wichtig für Bernds Buch, es hatte eine Bedeutung, die er seinen Lesern nicht vorenthalten wollte.
Ein anderer meiner Freunde machte sich einen Namen als Autor eines Buches über Menschen, die ihm als Journalist begegnet sind. Auch die Frau an seiner Seite ist jetzt unter die Autorinnen gegangen, mit einer Familiengeschichte über ihre schrägen Tanten vom Niederrhein. Und Dorothee, eine liebe Kollegin aus Bonn, hatte schon vor Jahren in die Tasten gegriffen, um sehr einfühlsam über das Thema Sterbebegleitung zu schreiben.
Nick, ein Kumpel aus meiner Zeit als Lokalredakteur, lebt heute als gefragter Autor in New York. Ein Buch, in dem er (s)einem Kind erklärt, wie Wirtschaft funktioniert, hat ihm Preise eingebracht.
Uli, Oberschwabe wie ich, der es später zum China-Korrespondenten gebracht hat, schrieb schon vor Jahren eine viel beachtete Biografie über Mao Tse-Tung, gefolgt von einer Serie von exquisiten Koch- und Reisebüchern, alle zum Thema Tibet und China.
Meine unveröffentlichten Helden
Dann gibt es in meinem Freundeskreis noch ein paar unveröffentlichte Autoren, deren Werke ich nicht weniger schätze als die meiner Kumpels aus dem Bestsellermileu. Ich habe großen Respekt vor ihnen. Die Hingabe, mit der sie ihre Geschichten recherchieren, die Details, mit denen sie ihre Krimis ausschmücken, das alles finde ich beneidenswert.
Um Schriftsteller zu werden, reicht eine gute Schreibe allein nicht. Es gehören ein langer Atem dazu und vor allem ein dickes Sitzfleisch. Und weil ich bisher über keine dieser Tugenden verfüge, begnüge ich mich eben weiterhin mit kurzen Episoden aus meinem kleinen Leben.
Ganz habe ich die Hoffnung auf ein Buch noch nicht aufgegeben. Anatomisch betrachtet müsste ja mit dem Körperumfang auch das Sitzfleisch dicker werden. Das wäre dann die Chance fürs Buch.
Huttermaedchen in Manitoba. Copyright Herbert Bopp
Heute drehen wir mal kurz die Zeit zurück – und bleiben doch mittendrin im Leben. Besuch bei den „Hutterern“ in der kanadischen Prärie. Rund 42 000 dieser religiösen Sektierer leben auf „Bruderhöfen“, die für sie „Archen im Meer der irdischen Sünden“ sind. Wer eine dieser Farmkommunen besuchen will, braucht Geduld. Und einen Vetter im Himmel.
Hutterer-Schule in James Valley/Manitoba. Copyright Herbert Bopp
Geduld lernt man in Kanada schnell: Geduld, bis der Winter endlich vorbei ist. Geduld, bis die Menschenschlange am liquor store kürzer wird. Geduld bis der Überholvorgang auf dem Highway abgeschlossen ist, denn alle fahren hier genau 100 Stundenkilometer. Nicht mehr, nicht weniger. Besonders viel Geduld war nötig, bis mein erster Besuch in einer Hutterer-Kolonie eingefädelt war. Wobei wir bei der zweiten Voraussetzung wären: dem Vetter im Himmel. Der hieß wieder einmal Bernd. Als Chefredakteur des deutschsprachigen Kanada Kurier hatte er Kontakt zu einer Hutterer-Kolonie im Süden von Manitoba, unmittelbar an der amerikanischen Grenze.
Kein Spiegel für die Eitelkeiten
Von Winnipeg aus sind es knapp zwei Autostunden bis zur „James Valley„-Kommune. Dort leben in friedlicher Eintracht genau 127 Männer, Frauen und Kinder. Sie betreiben Ackerbau und Viehzucht, züchten Gänse und Truthähne, die sie dann an Großabnehmer in der Stadt verkaufen. Die Hutterer bleiben am liebsten unter sich. Fernsehen ist bis heute nicht erlaubt. Auch Kosmetik- und Garderobenspiegel, in dem man ja seine Eitelkeiten pflegen könnte, sind bei den Hutterern tabu.
Es sind Selbstversorger, diese etwas schrulligen, aber durchaus liebenswerten Menschen. Die Männer tragen schwarze Anzüge mit weißem Hemd, die Frauen Kopftücher. Alle Mahlzeiten werden in einem Gemeinschaftsraum eingenommen. Erst sind Kranke, Alte und kleine Kinder an der Reihe. Dann die Männer. Und zum Schluss die Frauen, die das Essen gekocht haben. Alice Schwarzer würde wahnsinnig werden.
„Jeder gibt, wos’r kann und kriegt wos ihm not ist.“
Die Hutterer haben eine tragische Geschichte hinter sich. Als ihr Gründer Jakob Hutter 1536 wegen seines Glaubens in Innsbruck hingerichtet wurde, machten sich seine Anhänger auf eine Odyssee, die sie in viele Teile der Welt führte. Zunächst verteilten sie sich in Europa. Vor etwa 160 Jahren ließen sie sich dann in Kanada nieder. Die USA wären ihnen auch recht gewesen. Aber als Pazifisten würden sie nie in den Krieg ziehen. Es sind im christlichen Sinne Kommunisten, die nach dem Motto leben: „Jeder gibt, wos’r kann und kriegt wos ihm not ist.“ So einfach ist das. Es ist ein fast vergessenes Volk, das Privateigentum schon 300 Jahre vor Karl Marx abgeschafft hat. Ihre Sprache ist für uns schwer verständlich. Es ist eine Mischung aus Tirolerisch/Kärntnerisch/Deutsch, mit vielen englischen Brocken dazwischen.
Wichtigste Frage: „Hoscht scho a Görlfränd?“
Als „Weltmensch“ hat man es nicht leicht, Zugang zu den Hutterern zu finden. Bernd hatte mir mit seinem Wissen über diese wundersamen Menschen eine Tür geöffnet. Durch die gehe ich an diesem Spätsommertag und finde eine Gemeinschaft vor, wie ich sie bis dato nie erlebt hatte. Die wichtigste Frage zuerst: „Hoscht scho a Görlfränd?“. Bernd hatte mich gewarnt: Bei dieser Frage ist eine kleine Notlüge erlaubt. „Görlfränd“ schon. Zusammenleben ohne Trauschein: nie und nimmer. Das würde die Moralvorstellungen dieser christlichen Wiedertäufer völlig durcheinander bringen.
Argwöhnisch schauen sie mich an, diese Bauern, aber auch sehr liebevoll. Ganz selten nur kommt ein Nicht-Hutterer zu Besuch. Und ist es dann „a Deitscher“ wie ich, wird er hofiert, als wäre er Jakobs Bruder persönlich. Mit meinem Schwäbisch genieße ich bei den Hutterern Heimvorteil. Sie verstehen meinen Dialekt vermutlich besser als wenn ich „nach der Schrift“ mit ihnen reden würde.
Spezialität des Hauses: Vergorener Löwenzahnsaft
Essenszeit. Es gibt weichgekochte Entenfüße, Kartoffelknödel und eine sämige Pilzsoße. Als Getränk schleppen die Frauen gallonenweise Apfelsaft heran. Ganz zum Schluss wird dem Besucher aus der Stadt noch eine Spezialität des Hauses kredenzt: „Blömmelwein“, vergorener Löwenzahnsaft, der ganz entfernt nach Alkohol schmeckt. Gebetet wird vor dem Essen, danach und oft auch zwischen den einzelnen Gängen. Mit dem gemeinsamen Kirchgang geht der Tag zu Ende. Es gibt kein Kreuz, keine Bilder, keinen Kirchenschmuck. Ein kahler Raum, hell erleuchtet. Die Männer links. Frauen und Kinder rechts.
Schmuck stört. Ob es Kirchenschmuck, Hausdekoration oder persönlicher Schmuck ist. Der liebe Gott duldet keine Eitelkeit. Aber weil auch Hutterermädchen nur Menschen sind, tricksen sie den Herrgott schon mal aus. Wenn schon keine Juwelen, dann wenigstens eine Brille als kosmetisches Attribut. Eine Brille mit Fensterglas, sonst nichts. Doch die Zeit ist auch auf den Archen Gottes nicht stehen geblieben. Immer mehr junge Hutterer verlassen jetzt die Kolonien ihrer Vorfahren und suchen Arbeit in der Stadt. Mischehen zwischen Hutterern und nicht-hutterischen Kanadiern gibt es offiziell nicht.
Nach Jahren wieder einmal Gast im Bruderhof
Die Erinnerung an meinen ersten Reporter-Besuch auf einer Hutterer-Kolonie hat mich nie mehr losgelassen. Neulich war ich nach vielen Jahren wieder einmal zu Gast in einem Bruderhof. Diesmal war Lore dabei. Für sie war es das erste Mal überhaupt. Die Herzlichkeit, mit der sie empfangen wurde, rührte sie fast zu Tränen. Jetzt hatte „der Deitsche“ auch noch „eine Deitsche“ mitgebracht – mehr geht nicht bei Hutterers.
Mein inzwischen verstorbener Freund und Kanada-Mentor Bernd Längin hat ein Buch über die Hutterer veröffentlicht. Es ist bei „Rasch und Röhring“ erschienen und heißt „Die Hutterer. Gefangene der Vergangenheit. Pilger der Gegenwart. Propheten der Zukunft“. ISBN-Nr. 3-89136-061-4
Viele Jahre nach meinem ersten Besuch auf einer Hutterer-Kolonie habe ich für das Deutsche Fernsehen einen Film über eine dieser „Archen im Meer der irdischen Sünder“ gedreht. Ein Ausschnitt davon ist auf YouTube zu sehen.